Wir begrüßen alle LeserInnen zur ersten Ausgabe von „In Verteidigung des Marxismus“, dem Theoriemagazin der International Marxist Tendency (IMT).
Es handelt sich dabei um eine Neuauflage des britischen Magazins „In Defence of Marxism“, welches sich in den letzten neun Jahren seines Bestehens einen ausgezeichneten Ruf für ernsthafte marxistische Analysen und Beiträge zu sowohl theoretischen als auch brennenden praktischen Fragen der Arbeiterbewegung erarbeiten konnte.
Obwohl es ein britisches Magazin war, hatte es immer eine internationalistische Ausrichtung und LeserInnen auf der ganzen Welt. Es orientierte sich am politischen Kurs von marxist.com, der bekannten Website, die sich einen wohlverdienten Ruf für die konsequente und kompromisslose Verteidigung der Weltanschauung und der Grundsätze des revolutionären Marxismus erworben hat.
Diese politische Ausrichtung wird sich auch mit der Neuauflage nicht verändern. Doch das Magazin wird nun neben Englisch auch in der vorliegenden deutschen Version, sowie in spanischer, portugiesischer und schwedischer Übersetzung erscheinen, wobei in Zukunft weitere Übersetzungen in anderen Sprachen folgen werden. Veröffentlicht wird das Magazin in Dutzenden Ländern auf der ganzen Welt, entweder im Print- oder Online-Format.
Wir sind zuversichtlich, so in Zukunft eine immer größere Leserschaft im deutschsprachigen Raum sowie international willkommen heißen zu können und sind überzeugt, dass die Ideen des Marxismus eine reiche Quelle der Inspiration für revolutionäre ArbeiterInnen und Jugendliche auf der ganzen Welt darstellen werden.
„Aus dem Gesagten ist ersichtlich, dass eine Zeitschrift, die ein Organ des streitbaren Materialismus sein will, erstens ein Kampforgan im Sinne der unentwegten Entlarvung und Verfolgung aller modernen ‚diplomierten Lakaien der Pfafferei‘ sein muss, einerlei, ob diese als Repräsentanten der offiziellen Wissenschaft oder als Freischärler auftreten, die sich ‚demokratisch-radikale oder idealsozialistische‘ Publizisten nennen.“ (Lenin: Über die Bedeutung des streitbaren Materialismus)
Die Bedeutung der Theorie
Diese erste Nummer der Neuauflage des „In Verteidigung des Marxismus“-Magazins ist eine besondere Ausgabe, die sich überwiegend dem Kampf gegen den Postmodernismus widmet. Manch einen wird das überraschen. Weshalb sollten wir unsere Zeit mit der Diskussion solch abstrakter und obskurer Themen verschwenden, die keine Relevanz für die Arbeiterklasse haben?
Diese Kritik geht jedoch am Wesentlichen vorbei. Der Marxismus beschränkt sich nicht auf Agitation über Fragen des unmittelbaren Interesses der Massen der ArbeiterInnen. Er ist viel mehr als nur ein politisches Programm und eine Wirtschaftstheorie. Der Marxismus ist eine Philosophie, die unseren Blick über die Politik und den Klassenkampf erhebt und die gesamte Menschheitsgeschichte, Ökonomie, Gesellschaft, Ideenwelt und Natur beleuchtet. Nur allzu oft wird vergessen, dass Marx und Engels selbst Philosophen waren und dass eine revolutionäre Philosophie, der dialektische Materialismus, im Mittelpunkt ihres Denkens stand.
Bereits Lenin hält im marxistischen Klassiker „Was tun?“ fest:
„Ohne revolutionäre Theorie kann es auch keine revolutionäre Bewegung geben. Dieser Gedanke kann nicht genügend betont werden in einer Zeit, in der die zur Mode gewordene Predigt des Opportunismus sich mit der Begeisterung für die engsten Formen der praktischen Tätigkeit paart.“
Der revolutionäre Klassenkampf kann nicht auf den Kampf der Arbeiterklasse um unmittelbar bessere Lebensbedingungen reduziert werden. Unter den zahlreichen, sich dauernd zankenden Sekten, die sich allesamt völlig unverdient MarxistInnen nennen, finden wir häufig eine schlecht verhüllte Verachtung für die Theorie und eine sklavische Anbetung dessen, was sie „praktische Fragen“ nennen.
Ihre Zeitungen und Magazine sind voll von billiger Agitation in „populärem“ Stil, als wären die ArbeiterInnen kleine Kinder, die nicht imstande sind „schwierige Ideen“ zu begreifen. Damit stellen sie bloß ihre hochnäsige Verachtung für die Männer und Frauen der Arbeiterklasse zur Schau. Das ist ein typisches Charakteristikum von kleinbürgerlicher Mentalität und typisch für Menschen, die in Wirklichkeit keine Ahnung von der Arbeiterklasse haben.
Tatsächlich wird es den ArbeiterInnen schnell zu blöd, wenn man ihnen unablässig Dinge erklärt, die sie ohnehin schon genau wissen. Ihnen ist sehr bewusst, dass ihre Bosse sie ausbeuten, dass sie in schlechten Wohnungen leben, ihre Löhne zu niedrig sind, sie zu viel für Wasser und Strom bezahlen, usw. Aber die denkenden ArbeiterInnen, diejenigen die begriffen haben, dass die Gesellschaft grundlegend verändert werden muss, lassen sich mit solchen trockenen Bissen an Allgemeinplätzen nicht abspeisen.
Die fortgeschrittensten und kämpferischsten ArbeiterInnen verlangen nach reichhaltigerer Kost. Sie verlangen nach einem ernsthaften Verständnis der Welt in der sie leben. Diese ArbeiterInnen dürsten nach Wissen und Ideen und sind weit davon entfernt, von Theorie abgeschreckt zu werden. Es ist die Aufgabe von ernsthaften MarxistInnen, ihnen dabei zu helfen, dieses Wissen zu erlangen.
Ohne Theorie hätten wir als unabhängige politische Strömung keinerlei Daseinsberechtigung. Die Theorie ist es, die uns von den linken wie rechten Reformisten auf der einen Seite und sektiererischen Holzköpfen auf der anderen Seite unterscheidet. Dieses Magazin hat nicht die Aufgabe, den ArbeiterInnen zu erzählen, was sie ohnehin schon wissen, es soll sie vielmehr mit dem notwendigen theoretischen Arsenal ausstatten, das sie brauchen, um die großen ihnen bevorstehenden Aufgaben zu meistern.
Der Kampf um die Theorie ist eine notwendige Vorbedingung, um die ArbeiterInnen auf den Kampf um die Macht in der Gesellschaft vorzubereiten. Wer das nicht versteht, versteht auch nicht was der Marxismus ist. Wie bereits Engels erklärte, muss die Arbeiterklasse neben dem ökonomischen und dem politischen Kampf auch einen Kampf gegen die vorherrschenden bürgerlichen Ideen in der Gesellschaft führen. Engels „Anti-Dühring“ und Lenins „Materialismus und Empiriokritizismus“ sind klassische Beispiele genau jenes Kampfes.
Es ist unsere Pflicht gegen die reaktionären bürgerlichen Ideen, die an den Universitäten am laufenden Band produziert werden, in die Offensive zu gehen. Wir müssen rücksichtslos enthüllen, was die bürgerlichen Professoren wirklich sind: „diplomierte Lakaien der Pfafferei“, um es mit den Worten Joseph Dietzgens zu sagen – idealistische VerteidigerInnen des kapitalistischen Systems.
Der dialektische Materialismus ist und bleibt eine der wichtigsten Waffen in unserer revolutionären Waffenkammer. Und da der dialektische Materialismus die Grundlage und das Fundament des Marxismus darstellt, ist es kaum verwunderlich, dass von allen Theorien von Marx keine so sehr angegriffen, verzerrt und beschmiert wurde, wie diese.
Die herausragendste Waffe der Bourgeoisie gegen den Marxismus ist heutzutage der Postmodernismus, eine der krudesten Formen des subjektiven Idealismus. Die Ehre gegen den Strom zu schwimmen und diese mystischen und irrationalen Ideen zu bekämpfen, fällt der revolutionären Avantgarde der Arbeiterklasse zu.
Jede einzelne philosophische Schule der letzten zumindest 150 Jahre, ist in der einen oder anderen Weise, nichts anderes als das Wiederkäuen der Ideen des subjektiven Idealismus – die krudesten, absurdesten und sinnlosesten Spielarten des Idealismus. Der neuste Schrei in Form des Postmodernismus ist nur eine weitere dieser Spielarten.
Eine der obersten Maximen des Postmodernismus ist die Ablehnung des Fortschritts in der Geschichte. Doch auch nur die oberflächlichste Betrachtung der Geschichte zeigt, dass es Perioden des großen Fortschritts, aber auch Perioden des offenkundigen Rückschritts gab. Diese Epochen finden unweigerlich ihren Ausdruck in der Geschichte des Denkens im Allgemeinen, und in der Philosophie im Besonderen.
In der Periode ihres historischen Aufstiegs spielte die Bourgeoisie eine sehr fortschrittliche Rolle, nicht nur in der Entwicklung der Produktivkräfte, wodurch die Macht des Menschen über die Natur gewaltig gesteigert wurde, sondern auch indem sie die bisherigen Grenzen der Wissenschaft, Erkenntnis und Kultur sprengte.
Luther, Michelangelo, Leonardo, Dührer, Bacon, Kepler, Galileo und eine Vielzahl weiterer Wegbereiter der Zivilisation leuchten hell wie eine ganze Galaxie und erleuchten den breiten Pfad des kulturellen und wissenschaftlichen Fortschritts, der sich mit der Reformation und der Renaissance eröffnet hat.
In ihrer Jugend war die Bourgeoisie imstande große Denker hervorzubringen: Locke, Hobbes, Kant, Hegel, Adam Smith, und Ricardo. In der Phase ihres historischen Niedergangs, ist sie nur noch imstande das hervorzubringen was Marx einmal treffend als Flohknacker bezeichnete.
Marx stellte einst fest: „Philosophie und Studium der wirklichen Welt verhalten sich zueinander wie Onanie und Geschlechtsliebe.“ Die moderne bürgerliche Philosophie bevorzugt Ersteres gegenüber dem Letzteren. Besessen davon, den Marxismus (und überhaupt den Materialismus) zu bekämpfen, reißt die Bourgeoisie die Philosophie zurück in ihre dunkelste, überholte und fruchtlose Vergangenheit.
Eine Periode des Niedergangs
Unsere Epoche ist eine Epoche des Niedergangs. Das kapitalistische System zeigt klare Symptome eines Todeskampfes. Hier sehen wir ein Paradoxon. Einerseits hat der Fortschritt der Wissenschaft das menschliche Wissen in schwindelerregende Höhen befördert. Schritt für Schritt wird die Natur gezwungen, ihre Geheimnisse zu enthüllen. Die alten Geheimnisse, die die Menschen mit Religion und dem Übernatürlichen zu erklären versuchten, sind untersucht und verstanden worden.
Doch trotz all dieser Fortschritte steckt die Philosophie in einer Sackgasse. Sie hat nicht länger irgendetwas von Interesse zu sagen. Ihren Totenschein hat der Postmodernismus ausgestellt, der selbst kaum die Bezeichnung „Philosophie“ verdient.
Die Degeneration der bürgerlichen Philosophie ist eine Widerspiegelung der Sackgasse, die der Kapitalismus selbst darstellt. Ein System, das irrational geworden ist, muss sich auf irrationale Ideen stützen. Ein Mann am Rande des Abgrunds ist nicht in der Lage, klare Gedanken zu fassen. Dumpf beschleicht die Ideologen der Bourgeoisie das Gefühl, dass jenes System, das sie so vehement verteidigen, sich seinem Ende nähert. Die Verbreitung von irrationalen Tendenzen, Mystizismus und religiösem Fanatismus ist eine Widerspiegelung dieses Prozesses.
Der postmoderne Wahnsinn, der in der heutigen Zeit als Philosophie durchgeht, ist ein Eingeständnis des kläglichsten intellektuellen Bankrotts. Die bloße Tatsache, dass das postmoderne „Narrativ“ als neue Philosophie ernstzunehmend wäre, gibt für sich genommen ein vernichtendes Urteil über den theoretischen Verfall des Kapitalismus und der bürgerlichen Intelligenz in der Epoche des imperialistischen Zerfalls ab.
Der Postmodernismus lehnt das Konzept des historischen Fortschritts im Allgemeinen ab. Der Grund dafür ist einfach: Die Gesellschaft, die ihn hervorgebracht hat, ist selbst unfähig zum Fortschritt. Das ist kein Zufall. Millionen von Menschen stehen vor einer unsicheren Zukunft. Nicht nur die Arbeiterklasse ist vom generellen Niedergang betroffen, er erstreckt sich auch auf die Mittelschichten, die StudentInnen und ProfessorInnen, ForscherInnen und TechnikerInnen, MusikerInnen und KünstlerInnen, LehrerInnen und ÄrztInnen.
Eine Stimmung des Pessimismus erfasst unter diesen Bedingungen die Intelligenz, die gestern noch den Kapitalismus als Quelle der nie enden wollenden Karrieremöglichkeiten und als eine Garantie für einen angenehmen Lebensstandard betrachteten. In der Mittelschicht findet ein Gärungsprozess statt, der ihren unmittelbarsten Ausdruck in der Intelligenz findet. Dies ist die materielle Basis für die Stimmung, die die Mittelschicht befällt, eine Klasse, die eingeklemmt zwischen mächtigen Kapitalisten und der Arbeiterklasse, die Unsicherheit ihrer Lage stark verspürt.
Renegatentum
Die radikalen Launen der kleinbürgerlichen Intellektuellen haben einen sehr instabilen Charakter. Während er in Zeiten des zunehmenden Klassenkampfs vom revolutionären Optimismus der Arbeiterklasse erfasst werden kann, so kann sich das auch schnell ins Gegenteil verwandeln. Die Intellektuellen des radikalen Chics, die mit der 68er-Revolution flirteten, wurden schnell entmutigt. Die große Überzahl, speziell der AkademikerInnen, wurden von einer Stimmung des Pessimismus und der Unsicherheit erfasst.
Sie beschlossen, dass die Arbeiterklasse sie im Stich gelassen hatte, ließen alle „Metaerzählungen“ (insbesondere den Marxismus) hinter sich und wandten sich dem Skeptizismus zu, was lediglich eine Widerspiegelung ihres allgemeinen Geisteszustandes war. Es ist kein Zufall, dass jene Ideen, die letztendlich zum Postmodernismus führten, in den 1970er, 80er und 90er-Jahren in Mode kamen, nachdem weltweiteine Reihe von Revolutionen in Niederlagen geendet hatten. Diese Niederlagen wurden durch den Zusammenbruch der Sowjetunion verstärkt. Auf diesem Boden konnte der Postmodernismus seine giftigen Wurzeln schlagen und wachsen und gedeihen.
Solche Phänomene kann man nach jeder niedergeschlagenen Revolution in der Geschichte beobachten. Es war genau derselbe Prozess, der nach der niedergeschlagenen Revolution 1905 in Russland zum Anwachsen irrationaler und mystischer Tendenzen führte. In Materialismus und Empiriokritizismus legte Lenin in brillanter Weise dar, dass die Philosophien von Mach und Avenarius nichts anderes als ein schlechter Abklatsch von Berkeley, Kant und Hume waren.
Der einzige Unterschied zu heute ist, dass die Genies des Postmoderinsmus lediglich schlechte Kopien von schlechten Kopien sind. Verzweifelt versuchen sie, originell zu wirken und das völlige Fehlen tatsächlichen Inhalts zu vertuschen indem sie eine undurchdringbare Mauer aus unverständlichen, verschachtelten und absichtlich mehrdeutigen sprachlichen Konstrukten aufbauen.
Worte, Worte, Worte …
Polonius: Was leset Ihr, mein Prinz?
Hamlet: Worte, Worte, Worte.
Die heutigen subjektiven Idealisten beschränken sich auf ein verzweifeltes Rückzugsgefecht, das in der völligen Auflösung der Philosophie besteht und sie völlig auf die Semantik (die Lehre der Bedeutung von Worten) beschränkt.
Die Postmodernisten messen der Sprache eine außergewöhnliche Macht bei. Sie argumentieren: Wenn wir die Wörter, die wir im Alltag verwenden verändern, und darauf achten keine „unterdrückerischen“ Begriffe zu verwenden, können wir die Unterdrückung selbst abschaffen. Doch die tatsächliche Unterdrückung, die Millionen von ArbeiterInnen, Bauern, Frauen und Armen tagtäglich erleben, ist nicht verursacht durch falschen Verwendung von Sprache, sondern durch die materiellen Umstände einer Gesellschaft, die strikt getrennt ist in Reich und Arm, Unterdrücker und Unterdrückte.
Das Wesen einer Sache wird nicht verändert, wenn man einen anderen Begriff für sie verwendet. Shakespeare schrieb, wie auch immer eine Rose hieße, sie würde lieblich duften. Und der Kapitalismus, egal wie er hieße, wird gleich stinken. Was wir hier haben ist der markanteste Beweis für die Richtigkeit von Marx‘ berühmtem Ausspruch: Das Sein bestimmt das Bewusstsein.
Diese Obsession mit Worten ist nur eine Reflexion des Daseins des kleinbürgerlichen Intellektuellen, der über das Leben nur in der Geborgenheit seines Seminarraums nachdenkt. Dieses Dasein ist weit weg von der Welt der Normalsterblichen.
Ein Zimmermann produziert Tische und Stühle. Ein Töpfer produziert Teller und Geschirr. Ein Bauer produziert Kartoffeln und Kohlköpfe. Doch der Intellektuelle produziert nur Wörter – viele, viele Wörter. Diese Wörter werden von anderen Intellektuellen gelesen, die wiederum andere Wörter produzieren, die von anderen Intellektuellen gelesen werden. Und so geht es endlos weiter.
Normalerweise wäre das ein recht harmloser Zeitvertreib, der den ansonsten ziemlich leeren Existenzen der modernen Mönche des Akademikertums einen Sinn gibt, der aber für den Rest der leidenden Menschheit ein Mysterium bleibt.
Doch die Sache verändert sich erheblich, wenn diese mysteriösen Wörter über die Mauern der Universitäten heraus schwappen und beginnen, das Denken der normalen Menschen negativ zu beeinflussen.
Es ist schlimm genug, dass Generationen von Universitätsstudenten aus ihrem Studium dümmer und verwirrter herauskommen, als sie davor waren. Doch wenn diese Dummheiten und Verwirrung die Gesellschaft und Politik in Beschlag nimmt, dann hört der Spaß auf und das ganze wird zu einer ernsten Angelegenheit.
Reaktionäre Konsequenzen
Der Postmodernismus ist die extremste Form des Idealismus. Er ist die Ablehnung des Materialismus, der Gemeinsamkeit der menschlichen Erfahrung und Wahrnehmung und die Ablehnung der Möglichkeit menschlicher Solidarität. Anstatt Klassensolidarität, wird uns sogenanntes „Allyship“ geboten, eine oberflächliche „Verbündung“ von bis zur Unkenntlichkeit zersplitterten Kämpfen.
Doch selbst diese verwirrte Vorstellung bricht unverzüglich in sich zusammen, indem alle „Allies“ sich gegenseitig attackieren und aufs Übelste beschimpfen. Alle schreien, dass sie die Unterdrückten sind, während alle anderen Unterdrücker wären, die zum Schweigen gebracht werden müssten.
Diese Art der „Philosophie“ spielt der herrschenden Klasse perfekt in die Hände. Sie nutzt sie, um zu spalten und die Klassensolidarität zu zerstören, während sie sie gleichzeitig als eine Waffe gegen das rationale und fortschrittliche Denken im Allgemeinen und den Marxismus im Besonderen einsetzt.
Aus diesem Sumpf halbgarer Ideen fließen unweigerlich gewisse Schlussfolgerungen: Die Ablehnung der Revolution zugunsten kleiner Taten und Gesten (wie kleinkarierte Streitereien über Wörter und „Narrative“), ein Rückzug in die Subjektivität und natürlich die Ablehnung des Klassenkampfs.
Dieser terminologische Radikalismus hilft manchen kleinbürgerlichen Intellektuellen vielleicht dabei nachts ruhig zu schlafen, doch den Kampf gegen die Unterdrückung bringt er keinen Millimeter weiter. Im Gegenteil, er hält ihn zurück. Das Erheben „meiner“ Unterdrückung über „deine“ führt unweigerlich zur zunehmenden Aufspaltung und schlussendlich zur Atomisierung der Bewegung.
All das hat zur Verwirrung und Desorientierung einer ganzen Generation junger Menschen geführt, die von der Sache der sozialistischen Revolution abgebracht und in einen giftigen Sumpf gestoßen worden sind.
Manche werden argumentieren, der Postmodernismus bereits wieder aus der Mode gekommen sei. Sie sagen, sie vertreten völlig andere Richtungen. Doch dieses Argument ist falsch und unaufrichtig. Der Postmodernismus ist ein Hydra-köpfiges Monster, das ständig mutiert wie das Coronavirus. Er erfindet sich in einer Vielfalt von Verkleidungen ständig neu: Poststrukturalismus, Postkolonialismus, Queer-Theorie und jede Menge anderer Theorien der sogenannten Identitätspolitik.
Alle diese Varianten haben einen reaktionären Charakter, streuen Verwirrung und spalten vorsätzlich die Bewegung in eine Unzahl sich streitender Tendenzen und Sub-Tendenzen, von denen jede laut verkündet, sie hätte das alleinige Anrecht auf den Status als Opfer der Unterdrückung, während jeder andere ein Unterdrücker wäre.
Und während die Bewegung damit beschäftigt ist, sich selbst mit einer Reihe interner Konflikte zu zerstören, lehnen sich die wahren Unterdrücker – die Bankiers, Kapitalisten und Imperialisten zurück und lachen über die Dummheit der Menschen, die ihnen, bewusst oder unbewusst, die konterrevolutionäre Drecksarbeit abnehmen.
Insofern diese gefährlichen Ideen schon in die Arbeiterbewegung eingedrungen sind, wo die rechten BürokratInnen und bestimmte fehlgeleitete „Linke“ diese eifrig aufgreifen, spielen sie eine enorm destruktive, ablenkende und spalterische Rolle.
Es ist höchste Zeit alledem Einhalt zu gebieten! Wir müssen dieser reaktionären Philosophie den Krieg erklären und sie aus der Bewegung hinausjagen. Nur so können wir den Weg freimachen, damit die Arbeiterbewegung vorankommen und die Einheit aller Unterdrückten unter dem Banner der sozialistischen Revolution hergestellt werden kann.
Alan Woods
London, 17. Juni 2021
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