Warum Trotzki heute wichtig bleibt


Von Ted Grant.
Militant International Review. Nr. 44. Sommer 1990.
Trotsky’s relevance today


Fünfzig Jahre sind vergangen, seit Leo Trotzki von einem Agenten Stalins ermordet wurde, und hundertzehn Jahre, seit er am 26. Oktober 1879 geboren wurde. In keiner anderen Zeitspanne seit Menschengedenken hat es so viele Veränderungen und Umwälzungen gegeben. Es war wohl das unruhigste Jahrhundert in der Geschichte der Menschheit.

Zwei Weltkriege, die Russische Revolution, der Aufstieg des Stalinismus, der Sieg der Sowjetunion im Zweiten Weltkrieg, die Chinesische Revolution, der Rückzug des Imperialismus von offener militärischer Herrschaft zu wirtschaftlicher, neokolonialer Beherrschung in der Dritten Welt – dies waren die großen Ereignisse dieses Jahrhunderts, die entscheidende Etappen in der Weltgeschichte markierten.

Jetzt eröffnet ein dritter Wendepunkt – die Krise des Stalinismus in Russland und Osteuropa – eine neue historische Phase. Die Vertreter der imperialistischen Mächte reiben sich vor Freude die Hände. Ohne einen Schuss abzugeben, haben sie – wie sie glauben – Osteuropa zurück in ihre Umlaufbahn gebracht und die Gefahr des »Kommunismus«, in Wirklichkeit des Stalinismus, zurückgedrängt. Doch die Geschichte hat ihr letztes Wort noch nicht gesprochen. Was wir in Osteuropa gesehen haben, wird nichts sein im Vergleich zur Krise – politisch, ökonomisch und sozial –, die sich im Westen entwickeln wird. Und mit der Entwicklung dieser Krise werden erneut linke Kräfte in den Vordergrund treten. Der »Trotzkismus«, die Politik der sozialen Revolution, wird sich beweisen.

In seiner Autobiographie Mein Leben schildert Trotzki, wie acht Jahre vor der Revolution von 1905 eine junge Gruppe von Revolutionären mit einem Hektographen (einem Handkopiergerät) ein Flugblatt gegen den Zarismus produzierte. Das war der Beginn der revolutionären Tätigkeit Leo Trotzkis. Die Kräfte der Revolution waren damals viel schwächer als heute. Doch acht Jahre später kam die Revolution von 1905, und zwanzig Jahre später, 1917, wurde das Zarenreich, das tausend Jahre bestanden hatte, gestürzt.

Die russischen Sozialdemokraten waren in einer zentralisierten Partei organisiert. 1903 kam es zu einer Spaltung. Sie wurde durch einen Zufall ausgelöst, durch eine zweitrangige Frage. Doch hier war schon vorgezeichnet, welch unterschiedliche Wege Menschewiki und Bolschewiki in den folgenden Jahren einschlagen sollten. Es zeigte sich, wie Trotzki später erklärte, hier bereits der Unterschied zwischen den »Harten« und den »Weichen«. Trotzki selbst blieb etwa ein Jahr lang bei den Menschewiki und brach dann mit ihnen, um eine Position zwischen Bolschewiki und Menschewiki einzunehmen. Doch Lenins Witwe Krupskaja schrieb wenige Tage nach dessen Tod an Trotzki, dass sich sein Bild von Trotzki während seines gesamten Lebens nicht verändert hatte. Er hatte verstanden, wozu Trotzki fähig war.

Die Spaltung 1903 war nicht so unkompliziert, wie die Stalinisten später behaupteten. Es war kein glattes Auseinandergehen zweier Fraktionen der Sozialdemokratie. 1906 gab es den Einheitsparteitag in Stockholm. Fürs Erste kamen Bolschewiki und Menschewiki wieder zusammen. Erst 1912 räumte Lenin ein, dass eine Einheit zum Zweck der Revolution nicht mehr möglich war. Jetzt erst traten die Bolschewiki als unabhängige Partei auf.

Ab 1904 befand sich Trotzki außerhalb beider Fraktionen, doch 1917 marschierte er Schulter an Schulter mit den Bolschewiki. Im März 1917 befand sich Trotzki in New York und Lenin in der Schweiz. Unabhängig voneinander nahmen sie dieselbe Haltung zur provisorischen Regierung ein. Nach der Februarrevolution sprachen sich die bolschewistischen Führer in Russland, darunter Stalin und Kamenew, für die Vereinigung mit den Menschewiki aus. Trotzki stellte sich dem mit voller Unnachgiebigkeit entgegen, wie auch Lenin. Doch Trotzki erklärte später:

»Die Kerenskiade schien in jenen Tagen allmächtig. Der Bolschewismus war ein ›verschwindender Haufen‹… Die Partei war sich selbst noch ihrer morgigen Macht nicht bewusst. Zu gleicher Zeit aber führte Lenin sie sicher ihren großen Aufgaben entgegen. Und ich spannte mich in die Arbeit ein und half ihm.«[1]

Am 7. September 1917 schrieb Trotzki in der Prawda:

»Für uns ist der Internationalismus nicht wie für Zereteli und Tschernow [Führer der Menschewiki und Sozialrevolutionäre – Ted Grant] eine abstrakte Idee, die nur dafür da ist, bei jeder sich bietenden Gelegenheit verraten zu werden, sondern eine wirkliche Richtschnur, ein absolut praktisches Prinzip. Ein dauerhafter, entscheidender Erfolg ist für uns unmöglich ohne Revolution in Europa… permanente Revolution statt permanentem Gemetzel: In diesem Kampf geht es um die Zukunft der Menschheit.«

»Um in den Jahren der Reaktion die Perspektive der permanenten Revolution zu verteidigen,« kommentierte Trotzki, »dafür war eine theoretische Voraussicht notwendig. Um im März des Jahres 1917 die Parole des Kampfes um die Macht aufzustellen, dafür hätte vielleicht ein politischer Instinkt ausgereicht. Aber weder die Begabung zur Voraussicht noch den Instinkt hat einer – nicht einer! – der heutigen Führer bewiesen… Kein einziger von ihnen hat das historische Examen bestanden.«[2]

In Mein Leben umreißt Trotzki auch, wie die Rote Armee organisiert wurde und wie in Kazan und andernorts die Schlachten geschlagen wurden, die das Schicksal der Revolution entschieden. »Die Hauptbedingung des Erfolges«, erklärt er, »bestand darin: nichts zu verheimlichen, vor allem – die eigene Schwäche nicht, mit der Masse keine List zu treiben, alles offen bei Namen zu nennen.«[3] Sein Leben lang blieb Trotzki dieser Politik treu. Niemals versuchte er, der Arbeiterklasse die Wahrheit zu verschweigen.

In der Revolution von 1905 vollbrachte Trotzki Wunder als Vorsitzender des St. Petersburger Sowjets. 1917 war er Vorsitzender des Militärischen Revolutionskomitees, das die Oktoberrevolution organisierte. Diese Taten würden, gemeinsam mit dem Aufbau der Roten Armee, schon ausreichen, um ihm einen Ehrenplatz in der Geschichte zu sichern. Doch überdies baute er mit Lenin gemeinsam die Kommunistische Internationale auf – was für sie beide noch wichtiger war, als selbst die Russische Revolution. In ihren Reihen vereinte die Kommunistische Internationale die revolutionären Arbeiter aus aller Welt. Sie bewegte größere Massen als selbst die großen Religionsgemeinschaften. Sie gab der unvermeidlichen Bewegung der Arbeiterklasse eine bewusste Führung. Sie konnte diese Bewegungen nicht erschaffen, doch nutzte sie, um die Weltrevolution vorzubereiten.

So wollten es Lenin und Trotzki, als sie die Internationale gründeten. Die Kommunistische Internationale sollte sich auf den Sturz des Kapitalismus vorbereiten und den Weg zur neuen, sozialistischen Gesellschaft eröffnen. Ihre Hauptaufgabe war, die neuen Schichten und Kader auszubilden, die aus der Erfahrung des Klassenkampfs in aller Welt hervorgegangen waren und sie zu dieser Aufgabe zu befähigen. Darum ging es auf den ersten vier Kongressen der Kommunistischen Internationale. Ihre Beratungen, ihre Thesen und Manifeste – viele wurden von Trotzki geschrieben – sind ein unschätzbares Lehrbuch der Revolution.

Doch während der revolutionären Ereignisse, die auf den Ersten Weltkrieg folgten, wurde der Kapitalismus von den Reformisten gerettet. Die deutsche Revolution wurde von der Sozialdemokratie verraten. Sie war gegen den »blutigen Weg des Bolschewismus« und für eine schrittweise, langsame und friedliche Veränderung des Kapitalismus. Fünfzehn Jahre später kam Hitler an die Macht!

Am Anfang waren die Arbeiterführer in der Kommunistischen Internationale jung und theoretisch unterentwickelt. Doch sie konnten aus den großen Ereignissen lernen, die sich damals abspielten. Die Niederlage der Revolution in Deutschland war sehr lehrreich für die Arbeiter. Auf Grundlage dieses Kampfes zwischen Revolution und Konterrevolution wurde die KP zu einer Millionenpartei.

Im Januar 1923 marschierte der deutsche Imperialismus im Ruhrgebiet ein, nachdem Deutschland mit seinen Kriegsreparationen in Verzug geraten war. In Kombination mit der Krise des deutschen Kapitalismus führte das zum Zusammenbruch der Währung. Die Mark erreichte Milliardenbeträge pro Pfund. In Deutschland entwickelte sich eine revolutionäre Krise. Doch die Schwankungen der Führung der Kommunistischen Partei, zusammen mit den schlechten Ratschlägen Stalins und Sinowjews, führte dazu, dass eine große revolutionäre Chance verpasst wurde.

Die Niederlage von 1923 in Deutschland stärkte die Reaktion, die sich in Russland aus der Enttäuschung über die Isolation der Revolution und der katastrophalen wirtschaftlichen Lage der Massen entwickelte. Die »Troika« aus Sinowjew, Kamenew und Stalin übernahm die Führung der KPdSU und begann einen Kampf gegen den »Trotzkismus«. In Wirklichkeit war dies ein Kampf gegen die Grundideen Lenins und gegen die Revolution selbst.

Wie sich die Reaktion in der Sowjetunion entwickelte, zeigte sich, als Stalin 1924 mit der Theorie des »Sozialismus in einem Land« hervortrat. Im Februar 1924 veröffentlichte Stalin ein Buch, Die Grundlagen des Leninismus, das die orthodox-marxistische Auffassung Lenins über die Unmöglichkeit des Aufbaus des »Sozialismus in einem Land«, besonders in einem rückständigen Land wie Russland, widerspiegelte. Doch sechs Monate später veröffentlichte er in einer neuen Ausgabe das genaue Gegenteil: Russland habe genügend Ressourcen, um den Sozialismus aufzubauen! Dies sollte als Trost für die Massen dienen, die vom Scheitern der Weltrevolution enttäuscht waren. In Wirklichkeit spiegelte es die Interessen der neuen bürokratischen Kaste wider, die danach strebte, die Kontrolle über die Sowjetunion zu übernehmen, nachdem die Aktivität der Massen nachgelassen hatte.

Trotzki gab eine Warnung und eine brillante Prognose: Stalin sei ein Empiriker, der in diesem Stadium nicht wisse, was er tue oder wohin die Theorie des »Sozialismus in einem Land« führen würde – nämlich in die nationalistische und reformistische Degeneration jeder Kommunistischen Partei der Welt. Diese bemerkenswerte Prognose wurde durch die Ereignisse glänzend bestätigt.

Trotzkis Fraktion in der Kommunistischen Partei Russlands führte 1923–1927 einen Kampf gegen den bürokratischen Weg. Ihr Programm der umfassenden Industrialisierung wurde von Stalin und Bucharin, den die Anhänger Gorbatschows heute feiern, bekämpft. Sie wollten den Sozialismus »im Schneckentempo« aufbauen. Trotzki erklärte in seinem brillanten Werk Die Dritte Internationale nach Lenin die Unmöglichkeit, den Sozialismus in einem einzigen Land, besonders in einem rückständigen Land wie Russland, aufzubauen. Er kämpfte für eine internationalistische Außenpolitik, für die Wiederherstellung der Arbeitermacht in der Sowjetunion, für die Erneuerung der Sowjets und für die Rückgabe der Macht an die arbeitenden Massen.

Er kämpfte gegen den Kurs von Stalin und Bucharin, und zu einem gewissen Grad auch gegen Sinowjew, in Bezug auf die britische Revolution, in der er den Generalstreik von 1926 vorhersagte. Er führte eine Kampagne gegen die selbstmörderische Politik der Komintern, Chiang Kai-shek in der chinesischen Revolution von 1925–27 zu unterstützen, was zum Massaker an den Kommunisten führte.

Doch Trotzkis größte Leistung für den Weltsozialismus und die Arbeiterbewegung war seine Analyse des Stalinismus in Russland. Ohne seine Arbeit wäre die Bewegung blind geblieben. Er analysierte unerbittlich die Zickzackpolitik des »Sozialismus in einem Land«, die die Komintern von einem Instrument der Weltrevolution in einen »Grenzwächter« der Sowjetunion verwandelte. Als Antwort darauf wurden 1927 die »Trotzkisten« aus der KPdSU ausgeschlossen und nach Sibirien verbannt.

In diesen Jahren führte Trotzki einen Kampf gegen das, was er »bürokratischen Zentrismus« nannte. Das war die Zeit, als Stalin und andere Führer der russischen Revolution noch ehrlich den Sieg der Revolution in anderen Ländern wünschten, aber zunächst mit opportunistischen und dann mit ultralinken, wahnsinnigen Politiken – insbesondere mit der absurden Theorie des »Sozialfaschismus«, wonach Sozialdemokratie und Faschismus keine Feinde, sondern Zwillinge[4] seien – den Weg für den Sieg Hitlers 1933 bereiteten. Der Weg der Komintern bis 1933 war von Schwankungen zwischen Linksradikalismus und Opportunismus geprägt. In einer Reihe von Schriften beschäftigte sich Trotzki mit der verbrecherischen Politik der Komintern. Er warnte vor der Gefahr, die von Hitler ausging und vor den Konsequenzen, die der Sieg des Faschismus für die Arbeiterklasse in Deutschland und weltweit haben würde. Er trat für die Einheitsfront aus Sozialdemokraten und Kommunisten zur Verhinderung von Hitlers Machtergreifung ein.

Doch die Komintern lernte nichts aus der vernichtenden Niederlage in Deutschland. Sie erklärten sogar Hitlers Machtergreifung zu einem Schritt auf dem Weg zum Sieg der Revolution![5] Noch im Februar 1934, als die Faschisten in Frankreich gegen die liberale Regierung Daladier demonstrierten, marschierte die Kommunistische Partei tatsächlich gemeinsam mit den Faschisten. Hätten sie Erfolg gehabt, hätte der Faschismus 1934 in Frankreich an die Macht kommen können. Zum Glück konnten die französischen Arbeiter beobachten, was jenseits des Rheins geschah, und zwangen die Gewerkschaftsführer, einen Generalstreik zu organisieren. Obwohl nur eine Million Arbeiter in den Gewerkschaften organisiert waren, beteiligten sich vier Millionen am Generalstreik als Warnung an die Faschisten.

Trotzki, der sich zuvor für die Reform der Kommunistischen Internationale und der Kommunistischen Partei der Sowjetunion eingesetzt hatte, entwickelte nun die Idee der politischen Revolution in Russland und vom unvermeidlichen Zusammenbruch der Komintern als revolutionäre Kraft.

Anschließend wandte sich die Komintern der »Volksfront«-Taktik zu, die die Unterordnung des Proletariats unter die Liberalen verlangte. Trotzki setzte sich in seinen Schriften zu Spanien und Frankreich mit dieser Politik auseinander. Die Komintern versuchte, zwischen »guten« und »schlechten« Kapitalisten zu unterscheiden, statt einen Klassenstandpunkt einzunehmen und die Krise des Systems zur Überwindung des Kapitalismus zu nutzen. Sie zwang die Arbeiter dazu, die »Liberalen« zu unterstützen. Das desillusionierte die Arbeiter und bereitete so den Boden für die Reaktion. In Frankreich forderten einige Führer, die diese reaktionäre Idee auf die Spitze trieben, sogar eine Nationale Front mit »guten« französischen Faschisten und Mussolini gegen die »schlechten« deutschen Nazi-Faschisten! Die Niederlagen der Arbeiterklasse ebneten den Weg für den Krieg. Trotzki war überzeugt, dass der Zweite Weltkrieg eine entscheidende Probe für den Kapitalismus sein und Revolutionen im Westen zur Folge haben würde. Und tatsächlich gab es nach dem Krieg in Westeuropa eine revolutionäre Welle. In Großbritannien kam dadurch die Labour Party an die Macht. In Frankreich, Italien und anderen Ländern gab es Koalitionen mit den stalinistischen und sozialistischen[6] Parteien.

Doch Stalin verriet diese neue revolutionäre Welle. Er fürchtete, dass ein Sieg der Arbeiter in anderen Ländern zum Zusammenbruch der Bürokratie in der Sowjetunion führen könnte. Aus demselben Grund hatte er schon 1936, aus Angst vor den Auswirkungen der Spanischen Revolution auf die Sowjetunion, seine mörderischen Säuberungen durchgeführt, die später in den grausamen Schauprozessen gegen die »alten Bolschewiki« und Trotzki mündeten.

In dieser Bredouille wurde der Kapitalismus also durch die Politik der Kommunistischen Parteien – und natürlich der Reformisten, die einfach die Politik wiederholten, die sie nach dem Ersten Weltkrieg betrieben hatten – gerettet. Doch diesmal waren die Auswirkungen anders als nach dem Ersten Weltkrieg. Die Herrschaft des amerikanischen Imperialismus in der kapitalistischen Nachkriegswelt schuf die Bedingungen für den langen Nachkriegsaufschwung von 1950–73. Damals kamen 50% der weltweiten Produktion aus Amerika. Es nutzte seine Macht, um die Märkte der ganzen Welt für den Export zu öffnen. Durch den Abbau von Zöllen und anderen Handelsschranken dehnte sich der Welthandel gewaltig aus. Diese Ausweitung des Welthandels war ein rettender Anker für den Kapitalismus, aber sie hatte auch progressive Auswirkungen. Sie machte das Proletariat zahlreicher, schloss es fester zusammen und steigerte seine Macht in allen fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern und bis zu einem gewissen Grad auch in der unterentwickelten Welt.

Die Politik der Kommunistischen und Sozialistischen Parteien bereitete die politische Grundlage für eine relative Stabilisierung des Kapitalismus. Doch der Stalinismus ging ebenfalls gestärkt aus dem Zweiten Weltkrieg hervor. Nur die Marxisten verstanden den Wandel der Situation, der eingetreten war, und erklärten die Folgen des Sieges der Roten Armee sowie die Wendung hin zu einer Politik des proletarischen Bonapartismus in den Ländern Osteuropas. Dies war eine neue Situation, die nur mit der Methode von Lenin und Trotzki erklärt werden konnte – nicht einfach durch Wiederholung ihrer Ideen ohne Berücksichtigung der die grundlegenden Veränderungen, die sich ergeben hatten.

Heute ist Stalin von der Bürokratie völlig verworfen worden; sie verflucht ihn als Verantwortlichen für all die Übel, unter denen Russland heute leidet. Doch Stalin war ein Ausdruck des Apparats, der Repräsentant der Bürokratie. Gerade das gab Stalin seine Stärke und ermöglichte seinen Sieg über Trotzki im Kampf zwischen der Linken Opposition und der Bürokratie.

Trotzki erklärte die Degeneration der Bolschewiki, die sich zwischen 1917 und 1924 vollzog, durch die veränderten Lebensbedingungen, unter denen sie standen. Im Kapitel über Lenins Tod und den Machtwechsel in Mein Leben beschreibt er die dahinterliegenden Prozesse:

»Eine bestimmte Weltanschauung in Fleisch und Blut zu verwandeln, ihr alle Seiten seines Bewusstseins zu unterwerfen und die Welt der eigenen Gefühle in Übereinstimmung mit ihr zu bringen, das ist nicht allen gegeben, eher nur wenigen. Bei der Arbeitermasse wird dies durch den Klasseninstinkt ersetzt, der in kritischen Zeiten seine höchste Klarheit erreicht. Es gibt aber in der Partei und im Staat eine große Schicht von Revolutionären, die zwar in ihrer Mehrheit der Masse entstammen, sich aber schon längst von ihr getrennt haben und durch ihre Stellung in Gegensatz zu der Masse geraten sind.«

»In ihrer Psychologie bleiben genügend ungeschützte Stellen, durch die« – bei veränderten Umständen, vor allem der wirtschaftlichen Lage und der ganzen Reihe von internationalen Niederlagen der Revolution – »fremde und feindliche geistige Einflüsse frei eindringen können.«[7] Der Stalinismus, so Trotzkis Fazit, war »vor allem die automatische Arbeit des unpersönlichen Apparates am Abstieg der Revolution.«[8] Es war die Diktatur des Apparats über die Partei.

Trotzki vertiefte und entwickelte seine Analyse des Stalinismus in einer ganzen Reihe von Werken weiter. Eines der letzten, Verteidigung des Marxismus, wurde mitten im Kampf gegen jene geschrieben, die im Zweiten Weltkrieg die Haltung der Marxisten zur Sowjetunion ändern wollten.

Trotzki beharrte darauf, dass die UdSSR ein deformierter Arbeiterstaat bleibe, solange es das staatliche Eigentum an den Produktions-, Verteilungs- und Austauschmitteln gäbe. Das ist das wesentliche Bestimmungsmerkmal eines Arbeiterstaats. Es ist die notwendige Bedingung für den Übergang zum Sozialismus. Doch ohne die notwendige Arbeiterdemokratie und Arbeiterkontrolle, ohne die Organisierung der Industrie und des Staates durch die Arbeiter selbst, gibt es keinen gesunden Arbeiterstaat. Die Bürokratie wurde zu einer privilegierten Kaste, die über der Gesellschaft und der Arbeiterklasse stand und diese beherrschte. Da sie unfähig war, irgendwelche Schritte hin zu einer freieren und gleicheren Gesellschaft zu unternehmen, versuchte sie, den Status quo zu bewahren, eine hierarchische Gesellschaft aufrechtzuerhalten, ihre eigene Macht, ihre Privilegien, ihr Prestige und ihr Einkommen zu steigern und herrschte durch totalitären Terror über die Arbeiter. Es hat fünf Jahrzehnte gedauert, bis sich diese Merkmale, die Trotzki 1940 bereits erkannte, voll entfaltet haben.

Im Zentrum der Auseinandersetzung um die »Verteidigung der UdSSR« stand der Klassencharakter der Sowjetunion.

»›Verteidigung der UdSSR‹«, so Trotzki, »wie sie von der Komintern gedeutet wird, beruht, wie der gestrige ›Kampf gegen den Faschismus‹, auf dem Verzicht auf unabhängige Klassenpolitik. Das Proletariat würde – aus verschiedenen Gründen unter verschiedenen Umständen, aber immer und unvermeidlich zu einer Hilfstruppe eines bürgerlichen Lagers gegen ein anderes [werden] …

Hauptkriterium für uns ist nicht die Umwandlung der Eigentumsverhältnisse in diesem oder jenem Gebiet, wie wichtig sie an sich auch sein mögen, sondern vielmehr die Veränderung im Bewusstsein und in der Organisation des Weltproletariats, das Wachsen seiner Fähigkeit, frühere Errungenschaften zu verteidigen und neue zu erreichen …

Wir müssen unsere Losungen so formulieren, dass die Arbeiter klar sehen, was genau wir in der UdSSR verteidigen (Staatseigentum und Planwirtschaft) und gegen wen wir einen unbarmherzigen Kampf führen (die parasitäre Bürokratie und die Komintern). Wir dürfen keinen einzigen Augenblick vergessen, dass für uns die Frage des Sturzes der Sowjetbürokratie der Frage der Erhaltung des Staatseigentums an den Produktionsmitteln in der UdSSR untergeordnet ist; dass die Frage der Erhaltung des Staatseigentums an den Produktionsmitteln in der UdSSR für uns der Frage der proletarischen Weltrevolution untergeordnet ist.«[9]

Verteidigung des Marxismus setzt sich mit den Ideen aller möglichen Quasi-›Marxisten‹ auseinander, die durch die Entwicklung des Stalinismus desorientiert wurden, wie auch Isaac Deutscher, der eine Trotzki-Biografie schrieb. Deutscher stellte sich vor, die Bürokratie könne sich in Richtung Sozialismus bewegen, sie könne sich selbst auflösen! Die heutigen Ereignisse zeigen, dass dies grundsätzlich falsch ist. Auf der anderen Seite gab es Leute wie Tony Cliff, dessen Ideen über den »Staatskapitalismus« behaupteten, die Bürokratie sei eine neue gesellschaftliche Ordnung. Das ist ebenso vollkommen falsch.

Ein Staat mit 100% Staatseigentum hat eine andere Wirtschaft als der Kapitalismus. Die ökonomischen Bewegungsgesetze einer solchen Gesellschaft unterscheiden sich vollständig von denen des Kapitalismus. Es kann beispielsweise keine Krise mit Überproduktion und Wirtschaftseinbruch geben wie im Kapitalismus. Die Krise in der Sowjetunion und Osteuropa hat einen völlig anderen Charakter.

Der Kapitalismus kann außerdem nicht funktionieren, ohne dass es Kapitalisten als »Träger der Produktionsmittel« gibt. In einer Wirtschaft mit Staatseigentum ist der Staat Träger der Produktionsmittel. Die Bürokraten sind keine Unternehmer. Als Wirtschaftsfunktionäre und Manager stehen ihnen höchstens Aufsichtslöhne[10] zu. Wenn sie mehr erhalten als das, dann als reine Parasiten und nicht aufgrund ihrer ökonomischen Funktion. Ein Arbeiterstaat funktioniert nur richtig, wenn er von den Arbeitern demokratisch kontrolliert wird. Sonst sind die negativen Phänomene aus Russland und Osteuropa unausweichlich. In den Worten Trotzkis: »Wenn das bonapartistische Gesindel«, also die Sowjetbürokratie, »eine Klasse ist, bedeutet das, dass es keine Fehlgeburt, sondern ein lebensfähiges Kind der Geschichte ist.«[11]

Einerseits hat das Staatseigentum bewiesen, dass es möglich ist, die gewaltigen Vorteile einer geplanten Produktion auszunutzen. Andererseits ist die Bürokratie an ihre Grenzen gestoßen und kann nicht einmal mehr die Resultate erreichen, die der Kapitalismus in einer Boomphase erreicht! Wie Trotzki erklärte:

»Das Ziel, das durch den Sturz der Bürokratie erreicht werden soll, ist, die Herrschaft der Sowjets wiedereinzusetzen und die gegenwärtige Bürokratie aus ihnen zu verjagen… Es ist die Aufgabe der wiederhergestellten Sowjets, mit der Weltrevolution Hand in Hand zu arbeiten und eine sozialistische Gesellschaft aufzubauen. Der Sturz der Bürokratie setzt daher die Beibehaltung des Staatseigentums und der Planwirtschaft voraus. Das ist der springende Punkt des ganzen Problems.«[12]

Das ist ein prägnantes Programm, das 50 Jahre, nachdem es geschrieben wurde, nichts von seiner Gültigkeit verloren hat. Mit der marxistischen Methode war Trotzki in der Lage, die Frage zu stellen:

»Stellt die Bürokratie eine einstweilige Wucherung am sozialen Organismus dar, oder ist dieses Geschwür bereits in ein historisch unerlässliches Organ umgewandelt worden?« Er beantwortete sie, indem er erklärte:»Soziale Auswüchse können durch eine ›zufällige‹ (d.h. zeitweilige und ungewöhnliche) Verstrickung von historischen Umständen entstehen. Ein soziales Organ (und das ist jede Klasse, Ausbeuterklassen eingeschlossen) kann nur als Ergebnis von tiefverwurzelten inneren Notwendigkeiten der Produktion selbst Gestalt annehmen… Die historische Rechtfertigung für jede herrschende Klasse besteht darin, dass das Ausbeutungssystem, das sie führt, die Entwicklung der Produktivkräfte auf eine neue Stufe hebt. Ganz zweifellos gab das Sowjetregime der Wirtschaft einen mächtigen Anstoß. Aber die Quelle dieses Anstoßes war die Nationalisierung der Produktionsmittel und die ersten Anfänge der Planung, aber auf keinen Fall die Tatsache, dass die Bürokratie die Herrschaft über die Wirtschaft an sich riss. Im Gegenteil, der Bürokratismus, als System, wurde die schlimmste Bremse der technischen und kulturellen Entwicklung des Landes.«

Die Bürokratie befindet sich jetzt in der Lage, dass sie die Produktivkräfte nicht mehr weiterentwickeln kann. Sie ist nun nicht mehr nur eine relative Fessel für die Gesellschaft, sondern ein absolutes Hindernis.

Trotzki erklärte:

»Dies wurde eine Zeitlang dadurch verschleiert, dass die Sowjetwirtschaft zwei Jahrzehnte lang damit beschäftigt war, die Technologie und Produktionsorganisierung aus den hochentwickelten kapitalistischen Ländern zu verpflanzen und sich anzueignen. Die Periode des Aneignens und Nachahmens konnte noch, wohl oder übel, dem bürokratischen Automatismus angepasst werden, d.h. dem Ersticken jeder Initiative und jedes Schaffensdranges. Aber je weiter die Wirtschaft wuchs, je verwickelter ihre Anforderungen wurden, um so unerträglicher wurde das Hindernis des bürokratischen Regimes… Daher gerät die Bürokratie… in einen unversöhnlichen Widerspruch mit den Erfordernissen der Entwicklung. Die Erklärung dafür ist eben darin zu finden, dass die Bürokratie nicht Träger eines neuen Wirtschaftssystems ist, das ihr eigen und ohne sie unmöglich ist, sondern dass sie ein parasitäres Geschwür am Arbeiterstaat ist.«

Die gegenwärtige Zwickmühle[13] bestätigt diese brillante Analyse. Trotzki fuhr fort, zu erklären:

»Die Sowjetoligarchie besitzt alle Laster der alten herrschenden Klassen, aber es fehlt ihr deren geschichtliche Mission. In der bürokratischen Degeneration des Sowjetstaates kommen nicht die allgemeinen Gesetze der modernen Gesellschaft vom Kapitalismus hin zum Sozialismus zum Ausdruck, sondern der besondere, außergewöhnliche und vorübergehende Bruch dieser Gesetze unter den Bedingungen eines rückständigen revolutionären Landes in kapitalistischer Umzingelung.«[14]

»Die Oktoberrevolution war kein Zufall. Sie war lange vorhergesehen. Die Ereignisse bestätigten diese Vorhersage. Die Degeneration widerlegt die Vorhersage nicht, denn die Marxisten glaubten niemals, dass sich ein isolierter Arbeiterstaat in Russland unbegrenzt behaupten könne. Sicherlich, wir erwarteten eher, dass der Sowjetstaat Schiffbruch erleidet als dass er degeneriert; richtiger gesagt, wir unterschieden nicht scharf zwischen diesen beiden Möglichkeiten. Aber sie widersprechen einander durchaus nicht. Degeneration muss unausweichlich auf einer bestimmten Stufe mit dem Untergang enden… 25 Jahre haben in geschichtlichem Maßstab, wenn es um tiefreichendste Veränderungen in ökonomischen und kulturellen Systemen geht, weniger Gewicht als eine Stunde im Leben eines Menschen.«

Die Bürokratie hielt sich viel länger, als vorhergesehen werden konnte. Der Grund dafür war der Sieg im Krieg, den sie nicht selbst erreicht hatte, in dem sich aber die Entschlossenheit der sowjetischen Massen ausdrückte, sich nicht vom Hitlerfaschismus versklaven zu lassen. Wie Trotzki aber weiter erklärte – und wie sich wiederum heute schlagend bewahrheitet hat: »In der UdSSR ist der Sturz der Bürokratie für die Erhaltung des Staatseigentums unerlässlich. Nur in diesem Sinne treten wir für die Verteidigung der UdSSR ein.«[15]

Die Koalitionspolitik der europäischen »Kommunisten« nach dem Zweiten Weltkrieg war ein schändlicher Verrat an den Ideen von Marx und Lenin über den Kampf gegen den Kapitalismus. Sie retteten damals den Kapitalismus und verschafften ihm die nötige Atempause, um die politischen Bedingungen für den ökonomischen Aufschwung vorzubereiten. Jetzt hat der Zusammenbruch des Stalinismus in Osteuropa – oder, wie die Kapitalisten lieber behaupten, der Zusammenbruch des »Kommunismus« – den Kapitalisten eine scheinbar weitere Atempause verschafft, die durch die Krise des Stalinismus in Russland noch verstärkt wird.

Doch diese Krise des Stalinismus, die von den Marxisten vorausgesagt wurde, ist nur ein Vorläufer einer Krise des Kapitalismus in Westeuropa und auf der ganzen Welt. Auch das nächste Jahrzehnt wird in den kapitalistischen Ländern von Erschütterungen geprägt sein. Frankreich 1968 war kein Zufall. Es war ein Ausdruck der unvermeidlichen Bewegung der Arbeiterklasse unter Krisenbedingungen.

Der Guardian vom 22. Juni zeigt die Situation, die sich in Amerika entwickelt hat: »Der Durchschnittswähler ist inzwischen aufgewacht und hat gemerkt, dass sein Haushaltseinkommen seit 20 Jahren nicht gestiegen ist.« Unter Berufung auf ein aktuelles Buch, The Politics of Rich and Poor von Kevin Phillips, einem Strategen der Republikaner im Jahr 1968, kommentiert der Guardian-Journalist:

»Jetzt, da die Zahlen vorliegen, können wir erkennen, wie weit die Reagan-Ära das Pendel zugunsten der Plutokratie ausschlagen ließ. 1980, als Reagan gewählt wurde, besaß das reichste Prozent der US-Bevölkerung nur 8% des nationalen Vermögens. 1988 hatten sie ihren Anteil fast verdoppelt – auf 14,9%.

Es gibt fast zwei Millionen amerikanische Millionäre, über 150.000 Deka-Millionäre (mit einem Vermögen von zehn Millionen Dollar) und 51 Milliardäre. Das Nettovermögen der Forbes-Liste der 400 reichsten Amerikaner hat sich in den 1980ern fast verdreifacht. Vorstandsvorsitzende großer Konzerne, die 1980 im Schnitt das 40-Fache eines Arbeiters verdienten, bekommen heute das 93-Fache.«

Das ist der Schatten kommender Ereignisse. Exakt derselbe Prozess spielte sich zwischen 1920 und 1930 ab und bereitete die Krise von 1929–33 vor. In Marxismus in unserer Zeit erklärte Trotzki:

»In der Tat jedoch verschärfte sich der ökonomische Gegensatz zwischen Bourgeoisie und Proletariat selbst in der gedeihlichsten Periode der kapitalistischen Entwicklung, wenn auch die Hebung des Lebensstandards bestimmter, für den Moment genügend umfangreicher Arbeiterschichten, die Verminderung des Anteils des ganzen Proletariats am nationalen Einkommen maskierte. So stieg zwischen 1920 bis 1930, eben vor dem Fall in die Krise, die industrielle Produktion der Vereinigten Staaten um 50%, während die an Löhnen ausbezahlte Summe sich nur um 30% erhöhte. Dies zeigt also eine außerordentliche Verminderung des Anteils der Arbeiter am nationalen Einkommen an.«

Die Geschichte wiederholt sich auf höherer Ebene. Damals vergrößerte sich der Anteil der Arbeiter am Nationaleinkommen wenigstens absolut. Heute fällt seit 20 Jahren auch das Realeinkommen. Die Gegensätze in der Wirtschaft sind also schon zugespitzter, als sie es 1929–33 waren. Natürlich kann man nicht genau vorhersagen, wann die Krise kommt – ob erst in einigen Jahren oder schon 1991. Aber man kann sich sicher sein, dass dieselben wirtschaftlichen Ursachen dieselben wirtschaftlichen Auswirkungen haben werden.

Die Ironie der Geschichte ist vielleicht, dass die Sowjetbürokratie gerade in dem Moment ihre Kapitulation vor dem Kapitalismus vorbereitet, in dem dem Kapitalismus neue wirtschaftliche und soziale Erschütterungen bevorstehen. Das »Feuerwerk« des westlichen Kapitalismus bereitet einen unvermeidlichen Zusammenbruch in einer späteren Phase vor. Die Krise, die sich in Osteuropa und Russland vollzogen hat, ist ein Vorbote einer ähnlichen Krise des Kapitalismus im Westen in der kommenden Epoche, in Europa, Nordamerika und Asien. Es wird einen Verfall des Kapitalismus weltweit geben.

Wie oberflächlich und brüchig die gegenwärtige wirtschaftliche und politische Stabilisierung des Kapitalismus ist, zeigte sich in der Panik der Weltbourgeoisie angesichts der Revolution in Rumänien. Aus Angst vor den Folgen der Revolution gab es sogar Appelle der kapitalistischen Mächte im Westen an Gorbatschow, gegen die Revolution in Rumänien zu »intervenieren«. Die Pressekampagne zur Verteidigung der Regierung Iliescu durch die Fabrikarbeiter und Bergleute war ein weiteres Indiz dafür.[16]

Auf dem Weg der Konterrevolution in Russland und Osteuropa werden enorme Schwierigkeiten auftreten. In Polen bereitet sich eine Explosion vor.[17] Das ist die Angst der herrschenden Klasse. Sie klammern sich jetzt an jeden Strohhalm und machen Fehler – lieber gemeinsam mit Gorbatschow als gegen das stalinistische Regime.

Die reaktionäre Theorie des »Sozialismus in einem Land« hat sich in all ihrer Nutzlosigkeit und Dummheit gezeigt. Stalin glaubte, ein System errichtet zu haben, das tausend Jahre bestehen würde. Er hatte keine Ahnung von der Krise, die sein System bereits nach wenigen Jahrzehnten erfassen würde. Auch die Führer der Kommunistischen Internationale ahnten nicht, was geschehen würde, als sie diese reaktionäre Theorie übernahmen.

Heute sind viele Errungenschaften der Oktoberrevolution, einschließlich der Entwicklung der Kommunistischen Internationale in ganz Europa und der Welt, zerstört worden. Aus einem Instrument der internationalen Revolution sind die Kommunistischen Parteien in den einzelnen Ländern zu Überbleibseln nationalreformistischer Organisationen geworden. Eine reaktionärer als die andere! In Griechenland gingen sie in eine Koalition mit einer konservativen Regierung; mit denselben Leuten, denen sie im Bürgerkrieg 1944–49 gegenübergestanden waren. In Spanien sind sie in Trümmer gefallen. Selbst wo sie relevant bleiben, in Italien und Frankreich etwa, sind sie keine Agenten des Stalinismus mehr, sondern der Kapitalisten. Sie verdienen ihr Schicksal, das Trotzki vorhersagte.

Weltweit waren die Anhänger Stalins und all seiner Nachfolger nur Werkzeuge der Außenpolitik der Bürokratie. Noch jetzt verteidigen sie Gorbatschow blind, obwohl er sich auf die Wiederherstellung des Kapitalismus zubewegt. Als der Nachkriegsboom begonnen hatte, waren die Linken in den Sozialistischen Parteien unfähig, sich zu orientieren. Sie folgten den Stalinisten auf die naivste Weise und verbreiteten die Vorstellung, in Russland und Osteuropa sei der »Sozialismus« errichtet worden. Nun teilen sie das Schicksal der Stalinisten.

Der Aufschwung des Kapitalismus ist jetzt ein vorübergehender Auftrieb für die Rechtsreformisten. Sie sind verkommene Werkzeuge des Kapitalismus. Sie haben jeden Anspruch auf »Sozialismus« aufgegeben. Wo sie in der Regierung sind – in Frankreich, Spanien, Schweden, Australien und Neuseeland – betreiben die »sozialistischen« Regierungen konservative kapitalistische Politik. In Neuseeland und Australien sind sie sogar zur Privatisierung übergegangen. In Deutschland haben sie längst jeden Anspruch auf ein sozialistisches Programm aufgegeben. Sie sind in Theorie und Praxis noch degenerierter als ihre Vorgänger in der Weimarer Republik.

Es liegt jedoch in der Natur der Sache, dass sie sich so verhalten, denn auch sie müssen sich dem Weltmarkt und der internationalen Verflechtung der Produktivkräfte beugen. Es ist nicht mehr möglich, eine rein »nationale« Politik zu betreiben. Das erklärt die Tendenz zur wirtschaftlichen Einigung – die nicht gelingen wird – in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und die Tatsache, dass die übrigen europäischen kapitalistischen Mächte in die Umlaufbahn der EWG geraten sind.

Diese relativ fortschrittliche Entwicklung der Produktivkräfte war die Folge davon, dass die Kapitalisten die Krise, in der sie sich befanden – sichtbar im Einbruch von 1929–33 und zwei Weltkriegen –, teilweise überwunden konnten, indem sie die nationalen Schranken der einzelnen kapitalistischen Wirtschaft aufgehoben haben. Die Wirtschaft ist über die Fesseln des Privateigentums und des Nationalstaats hinausgewachsen. Das wird sich in Zukunft noch deutlicher zeigen.

In der Tat beruht die kapitalistische Welt auf der Ausbeutung der kolonialen und ehemals kolonialen Völker. Während der gesamten 1980er Jahre wurden jährlich 50 Milliarden Dollar aus den ärmsten Ländern der Erde herausgepresst. Die abstoßende Heuchelei der Kapitalisten besteht darin, dass sie Krokodilstränen vergießen und so tun, als leisteten sie eifrig Unterstützung, während sie diese Länder gleichzeitig mit Handelsverträgen ausbluten. Sie geben mit der linken Hand und holen sich mit der rechten viel mehr zurück.

Trotzkis Arbeiten zur permanenten Revolution, die für die rückständigen Länder der Welt gedacht war, bleibt heute völlig gültig. Doch auch hier führte die stalinistische Verirrung zu neuen Schwierigkeiten von Theorie und Perspektiven. Die Chinesische und die Kubanische Revolution begannen mit deformierten Arbeiterstaaten und werden zweifellos in derselben Sackgasse landen wie die Sowjetbürokratie. Doch sie waren in dem Sinn enorm progressiv, dass sie über eine ganze historische Periode hinweg die Produktivkräfte entwickelten, die der Kapitalismus in den rückständigen Ländern nicht hätte entwickeln können. In allen drei Welten: der stalinistischen, der kapitalistischen und der kolonialen, sind Trotzkis Ideen unschätzbare Ratgeber für die neuen Kräfte der Arbeiterklasse, die sich dort entwickeln werden.

Die Geschichte hat über Osteuropa das letzte Wort noch nicht gesprochen. Osteuropa und Russland befinden sich noch in der Schwebe. In Osteuropa wurde das Programm des »Sozialismus in einem Land« bis zur Lächerlichkeit durchgezogen. Diese Staaten sind wirtschaftlich weniger integriert als die EWG, geschweige denn die USA. Jedes Land wurde in seine eigene Sackgasse getrieben, nachdem es anfänglich zu enormen Fortschritten in der Entwicklung der Produktivkräfte gekommen war. Es gab weder die Kontrolle des »Marktes«, wie sie zumindest teilweise im Kapitalismus existiert, noch gab es irgendeine Kontrolle durch die Arbeiter, die notwendig gewesen wäre, um den Übergang zum Sozialismus zu ermöglichen.

Diese Sackgasse spiegelte sich im vollständigen Zusammenbruch des Stalinismus wider, beginnend mit Polen und Ungarn. Im Fall von Ungarn leiteten die Stalinisten selbst den Prozess ein, vermutlich mit der Ermutigung durch Gorbatschow.

In den ersten Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg zeigte die Bürokratie enormes Selbstbewusstsein und Selbstzufriedenheit. 1960 sagte Chruschtschow zu den kapitalistischen Mächten: »Wir werden euch begraben!« Technisch, wirtschaftlich und sozial wäre das – vor allem mit der Unterstützung Chinas und Osteuropas – durchaus möglich gewesen. Wenn die damalige Wachstumsrate beibehalten worden wäre, hätten sie die USA bis 1980 überholt. Doch die gierige Bürokratie, die Korruption, die Inkompetenz, die Unmöglichkeit, eine Staatswirtschaft ohne die direkte Beteiligung und Kontrolle der Arbeitermassen zu entwickeln, verhinderten jeglichen Fortschritt auf dieser Grundlage.

Trotzdem bildeten sich alle bürgerlichen Theoretiker und reformistischen Politiker ein, dass sich das stalinistische System ewig halten könne! Nun hat das angebliche Granitfundament dieser totalitären Gesellschaft seine Unfähigkeit und Ohnmacht gegenüber der Arbeiterklasse offenbart.

Die Bürokratie ist gespalten. Ein Teil will zurück in die Sackgasse der bürokratischen Kontrolle. Ein anderer Teil will sich in Richtung Kapitalismus bewegen. Mit dem vorübergehenden Aufschwung des Kapitalismus, der nun schon Jahrzehnte anhält, wollen sie wieder zum Kapitalismus zurückkehren, oder wie man ihn heute nennt, zur »Marktwirtschaft«. Es wird zwangsläufig eine Gegenbewegung geben.

Am auffälligsten in allen Ländern Osteuropas und vor allem in der Sowjetunion selbst ist die Angst der Bürokratie vor der Arbeiterklasse. Kein Teil der Bürokratie denkt daran, zur Arbeiterkontrolle zurückzukehren, wie sie unter Lenin und Trotzki existierte. Doch auch die sowjetischen und osteuropäischen Arbeiter haben noch nicht das letzte Wort gesprochen. In den kommenden Kämpfen wird es in Osteuropa, Westeuropa und weltweit immer wieder Gelegenheit geben, das Programm der sozialistischen Weltrevolution zu entwickeln.

Die russischen Arbeiter haben seit der Revolution drei Generationen der Entwicklung erlebt. Die Industriearbeiter waren von einer großen Anzahl an Bauern ausgedünnt, die jetzt natürlich Proletarier geworden sind. Aber das Bewusstsein der Arbeiter ging zum größten Teil verloren, nachdem die alten Bolschewiki, die »Trotzkisten«, massakriert wurden. Doch die neuen Regime, die nun entstehen werden, müssen von den Ereignissen und von der Geschichte abgetestet werden. Die russischen Arbeiter und die Arbeiter Osteuropas werden in der Lage sein, sich die Ideen des Marxismus und seiner heutigen Entsprechung, des »Trotzkismus«, sehr schnell wieder anzueignen.

Selbst im schlimmsten Fall, wenn es der Bürokratie gelänge, den Kapitalismus einzuführen, wäre eine neue Oktoberrevolution unvermeidlich. Aber sie fände auf einem viel höheren wirtschaftlichen und sozialen Niveau statt. Es gibt nicht mehr nur 10 Millionen Arbeiter, sondern 140–150 Millionen. Es würde ein Regime entstehen, das sich in neue Widersprüche verwickelt, insbesondere im Kontext der sich entwickelnden Weltkrise des Kapitalismus.

Die Russische Revolution hat sich historisch bewiesen. Dabei spielt es keine Rolle, welche Erschütterungen Russland jetzt bevorstehen. Die Leistungen von Lenin und Trotzki sind unvergänglich. Das Proletariat ist unbesiegbar, wenn es sich mit den Ideen und organisatorischen Methoden von Lenin und Trotzki bewaffnet. Sein Aufstand ist absolut unvermeidlich. Die Errungenschaften im Lebensstandard in Europa, Amerika und Japan tragen dazu bei. Sie haben das Proletariat im Vergleich zur Vorkriegsperiode unermesslich gestärkt.

Der Prozess der Organisierung des Weltmarkts und der Integration der Weltwirtschaft führte zu einer teilweisen Überwindung der Krise des Kapitalismus, aber nur für eine vorübergehende historische Periode. Zu einem späteren Zeitpunkt wird aber genau dieser Prozess die Krise enorm verstärken. Die Entwicklung der Produktivkräfte gab dem Kapitalismus eine Atempause. Aber unvermeidlich wird es zu einem dialektischen Umschwung ins Gegenteil kommen. Neue Barrieren, neue Zölle werden errichtet werden. Schon zeichnen sich neue Blöcke und Mächte ab: Ein vereinigtes Deutschland und die EWG; Japan und Asien; die Vereinigten Staaten, Kanada und Lateinamerika. Zwischen den kapitalistischen Mächten werden neue und noch größere Rivalitäten entstehen.

Die Verflechtung und gegenseitige Abhängigkeit der Weltwirtschaft war eine progressive Entwicklung, aber an einem gewissen Punkt wird sie zusammenbrechen. Es ist unvermeidlich, dass die weitere Entwicklung der Produktivkräfte, mit deren Verlauf sich Trotzki in Marxismus in unserer Zeit beschäftigt hat – die Konzentration und Zentralisierung des Kapitalismus auf einer nie zuvor dagewesenen Stufe – neue und noch tiefere Einbrüche der Wirtschaft vorbereiten wird. Die Analyse von Marx, Engels, Lenin und Trotzki über den »Markt« war zutreffend. In der Tatsache, dass der Kapitalismus auf der unbezahlten Arbeit der Arbeiterklasse beruht, liegt die Keimzelle der Krise, die kommen wird. Der Prozess der Akkumulation selbst, die »Überakkumulation«, um mit Marx zu sprechen, garantiert die zukünftige Krise.

Um sie zu vermeiden, wurden neue Widersprüche erzeugt. Der gegenwärtige »Wohlstand« ist sehr zerbrechlich. Durch den Kredit und durch die Rüstungsausgaben, die fiktives Kapital erzeugen, durch die Konzentration und Zentralisierung des Kapitals durch parasitäre Übernahmen bereitet die herrschende Klasse neue Krisen vor.

Dennoch legt die Entwicklung der Weltwirtschaft auch die Grundlagen für den internationalen Sozialismus: Computer, Mikroelektronik und Automatisierung. Es ist jetzt in den wichtigsten kapitalistischen Ländern und in der Sowjetunion absolut möglich, einen Sechsstundentag und eine Viertagewoche bei vollem Lohnausgleich einzuführen und so dem Proletariat die notwendige Zeit zu verschaffen, die Industrie und den Staat zu lenken.

Die materielle, politische und soziale Basis des Sozialismus ist errichtet. Es fehlen das Bewusstsein und das Verständnis des Proletariats und eine revolutionäre Massenpartei, um die unvermeidliche Bewegung der Arbeiterklasse zu lenken.

Trotzki erklärte immer wieder, dass der Internationalismus keine Sentimentalität ist, sondern sich aus der Integration der Weltwirtschaft ergibt. Das war die historisch fortschrittliche Aufgabe des Kapitalismus. Sie wurde gründlicher durchgeführt, als Marx, Engels, Lenin und Trotzki sich je hätten vorstellen können. Die Weltwirtschaft ist gegenwärtig ein Ganzes. Das ermöglicht gewaltige, internationale Bewegungen der Arbeiterklasse.

Nicht einmal die Sowjetunion oder die USA können noch auf sich gestellt leben. Sie sind Teil einer Weltwirtschaft. Breschnew musste widerwillig Stalins Fantasie von einer »eigenständigen« Wirtschaft aufgeben. Gorbatschow ist noch weiter gegangen. Dabei ging es ihnen nicht darum, die sozialistische Revolution vorzubereiten, sondern sich bei den kapitalistischen Mächten beliebt zu machen. Gorbatschow stützt sich auf die imperialistischen Mächte, bittet Kohl, Mitterand, Bush und Thatcher um Hilfe und bestätigt so eindrucksvoll den Prozess, den Trotzki in Verteidigung des Marxismus vorgezeichnet hatte: »die zunehmende Unabhängigkeit der Bürokratie vom sowjetischen Proletariat und ihre wachsende Abhängigkeit von anderen Klassen und Gruppen sowohl innerhalb als auch außerhalb des Landes.«[18] Eine Supermacht mit gewaltigen Ressourcen, doch Gorbatschow muss betteln gehen! Er kann nur erwarten, dass man ihm hilft, weil er angesichts der unlösbaren Widersprüche den Weg der Konterrevolution und der Wiederherstellung des Marktes, also des Kapitalismus, eingeschlagen hat.

Indem er an den Ideen von Marx und Lenin ansetzte, erklärte Trotzki, dass das Handeln der Menschen entscheidend ist. »Das marxistische Verständnis der historischen Notwendigkeit«, schrieb er in Verteidigung des Marxismus, »hat nichts mit Fatalismus zu tun.«[19] Nur durch das Handeln der Marxisten kann der unvermeidliche Aufstand der Arbeiterklasse erfolgreich sein. Deshalb ist es absolut entscheidend.

Kinnock, Mitterrand, Lafontaine, Craxi, Gonzales, Hawke und andere Führer des rechten Flügels der Sozialdemokratie halten sich für »Realisten«. In Wirklichkeit stehen sie nicht über den wirtschaftlichen Bedingungen, die gegenwärtig bestehen. Letztlich bleiben sie Werkzeuge des Großkapitals im Griff von Kräften, die außerhalb ihrer Kontrolle liegen. Mit der Veränderung der Wirtschaftslage werden sie überrollt.

Die gesamte Geschichte der letzten 70 Jahre hat die Richtigkeit der Ideen Trotzkis bewiesen. Immer wieder werden die Massen den Weg des Kampfes einschlagen. Das Jahr 1968 in Frankreich war ein Vorbote von Ereignissen im internationalen Maßstab. Unweigerlich werden die Ideen Trotzkis und Lenins – für die Machteroberung der Arbeiterklasse – unter den aktiven Schichten der Arbeiterklasse und unter jenen verantwortungsbewussten Intellektuellen, die nach einem Ausweg aus der Krise des Kapitalismus und Stalinismus suchen, die sich in den kommenden Jahren entfalten wird, an Gewicht gewinnen.

Das »liberale« Gesicht des Kapitalismus im Westen ist in den letzten Jahrzehnten in den Vordergrund getreten – mit der »aufgeklärten« Kontrolle von Meinungs-, Presse- und Organisationsfreiheit durch das Großkapital. Allerdings: »Die antike Demokratie fußte auf Sklaverei, die imperialistische Demokratie fußt auf der Ausplünderung der Kolonien«[20], erklärte Trotzki. Die Demokratie ist ohne Zweifel die einfachste und flexibelste Herrschaftsmethode für die Kapitalisten. Doch wenn sich die Massen bewegen, ändert auch das Großkapital unvermeidlich seine Taktik, wie auch schon in der Zwischenkriegszeit. Es ist völlig oberflächlich, sich einzubilden, dass die Demokratie auf kapitalistischer Basis weiterbestehen kann.

Sollte eine weitere Welle von Revolutionen scheitern, wird es zweifellos eine Rückkehr zu den reaktionären Methoden der Vergangenheit geben. In Ungarn und Polen sprechen die Ideologen der Kapitalistenklasse schon über die Notwendigkeit einer kapitalistischen Diktatur. In Polen hat Wałęsa, dessen Aktivität mit dem Kampf gegen den stalinistischen Totalitarismus begann, jetzt für Polen ein System vorgeschlagen, das im Grunde selbst totalitär wäre. Eine unbeschränkte Diktatur des Kapitals, um die Veränderungen umzusetzen, die für den Aufbau des kapitalistischen Systems in Polen notwendig sind. Gleichzeitig steckt die Sowjetunion in einer Sackgasse. Stalinismus und Kapitalismus sind gleichermaßen am Ende. Eine neue Welle von Revolutionen ist unvermeidlich und unaufhaltsam.

Das herausragende Merkmal von Marx, Engels, Lenin und Trotzki war ihr Vertrauen in die Fähigkeit und das Verständnis der Arbeiterklasse, eine Umwälzung der Gesellschaft durchzuführen. Sie erkannten, dass die Arbeiterklasse die einzige durch und durch fortschrittliche Klasse ist, die in der Lage ist, den Weg zum Sozialismus zu ebnen.

Nur das Programm und die Methode von Lenin und Trotzki werden den Bedürfnissen und Interessen der Arbeiterklasse dienen. Die revolutionäre Jugend muss die Ideen von Marx, Engels, Lenin und besonders Trotzki studieren – insbesondere die Werke aus der Zwischenkriegszeit, die von großer Aktualität sind –, wenn sie sich für die künftigen Kampfaufgaben rüsten will.

Als Theoretiker steht Trotzki wahrscheinlich sogar noch höher als Lenin. Er stand auf den Schultern Lenins und trug die Ideen des Marxismus in der Epoche der stalinistischen Reaktion weiter. Die Internationalisten, die sich in vielen Ländern der Welt zusammengeschlossen haben, sollten sich nicht entmutigen lassen, nur weil ihre Kräfte derzeit klein sind. Die Ereignisse werden die Massen lehren. Wir haben dafür eine neue Bestätigung in der Kampagne gegen die Kopfsteuer (»Poll Tax«) erhalten. Die Methode von Lenin und Trotzki wird Kräfte schaffen, die den Ereignissen gewachsen sein werden. Fünfzig Jahre nach dem Tod Trotzkis können wir den »Alten« grüßen und ihm mitteilen: Weltweit setzt die marxistische Strömung deine Arbeit fort!

Wir stehen diesem großen Mann, Trotzki, in tiefer Dankbarkeit gegenüber. Märtyrer der stalinistischen Konterrevolution, Inspirator, Denker – er wird ewig im Gedächtnis der Arbeiterklasse weiterleben, wenn sie den Sozialismus erringt.

[1] L. Trotzki: Mein Leben. S. 298.

[2] Ebd., S. 296.

[3] Ebd., S. 355.

[4] »Der Faschismus ist eine Kampforganisation der Bourgeoisie, die sich auf die aktive Unterstützung der Sozialdemokratie stützt. … Diese Organisationen schließen einander nicht aus, sondern ergänzen einander. Das sind keine Antipoden, sondern Zwillingsbrüder.« – J. W. Stalin: Zur internationalen Lage. 20. September 1924. In: Werke. Band 6.

[5] »So führt der Faschismus … infolge der Dialektik des Lebens und des Klassenkampfes zu einer weiteren Entwicklung jener Kräfte, die seine Totengräber, die Totengräber des Kapitalismus sein müssen.« G. Dimitroff: Die Offensive des Faschismus und die Aufgaben der Komintern. 2. August 1935.

[6] Heute würden wir sagen: sozialdemokratischen.

[7] Mein Leben. S. 448.

[8] Ebd., S. 451.

[9] L. Trotzki: Die UdSSR im Krieg. In: Verteidigung des Marxismus. S. 19ff.

[10] Ted Grant greift hier auf einen Gedanken von Marx zurück und zieht damit eine Parallele zwischen den stalinistischen Bürokraten und Managern oder überhaupt leitenden Angestellten im Kapitalismus. Marx erklärt, wie sich eine Schicht von »Lohnarbeitern« an der Arbeiterklasse bereichern kann, obwohl sie ebenfalls einen »Lohn« erhält:

»Auf Basis der kapitalistischen Produktion dirigiert der Kapitalist den Produktionsprozess wie den Zirkulationsprozess. Die Exploitation der produktiven Arbeit kostet Anstrengung, ob er sie selbst verrichte, oder in seinem Namen von andern verrichten lasse. Im Gegensatz zum Zins stellt sich ihm also sein Unternehmergewinn dar als unabhängig vom Kapitaleigentum, vielmehr als Resultat seiner Funktionen als Nichteigentümer, als – Arbeiter. Es entwickelt sich daher notwendig in seinem Hirnkasten die Vorstellung, dass sein Unternehmergewinn – weit entfernt, irgendeinen Gegensatz zur Lohnarbeit zu bilden und nur unbezahlte fremde Arbeit zu sein – vielmehr selbst Arbeitslohn ist, Aufsichtslohn, wages of superintendence of labour, höherer Lohn als der des gewöhnlichen Lohnarbeiters, 1. weil sie kompliziertere Arbeit, 2. weil er sich selbst den Arbeitslohn auszahlt. Dass seine Funktion als Kapitalist darin besteht, Mehrwert, d.h. unbezahlte Arbeit zu produzieren, und zwar unter den ökonomischsten Bedingungen, wird vollständig vergessen über dem Gegensatz, dass der Zins dem Kapitalisten zufällt, auch wenn er keine Funktion als Kapitalist ausübt, sondern bloßer Eigentümer des Kapitals ist; und dass dagegen der Unternehmergewinn dem fungierenden Kapitalisten [= Manager] zufällt, auch wenn er Nichteigentümer des Kapitals ist, womit er fungiert.« (MEW 25, S. 393.)

Marx nennt die Aufsicht über den Produktionsprozess an sich notwendig, sobald die Arbeit gesellschaftlich wird. Notwendig ist aber nicht die Form, in der sie bezahlt wird. Im Kapitalismus wird diese Funktion verdinglicht und etikettiert sich als »Aufsichtslohn«, obwohl sie aus dem Mehrwert gespeist wird. Analog dazu ist die stalinistische Bürokratie nicht eine »notwendige« Schicht für die Planwirtschaft, sondern eine historisch-spezifische Form der privilegierten Aneignung.

[11] L. Trotzki: Wieder und noch einmal über den Charakter der UdSSR. In: Verteidigung des Marxismus. S. 27.

[12] Die UdSSR im Krieg. S. 4.

[13] Als der Artikel im Sommer 1990 geschrieben wurde, befand sich die Sowjetunion in einer tiefen politischen und wirtschaftlichen Sackgasse. Das Machtmonopol der KPdSU war gefallen, die Nationalitätenfrage eskalierte, die baltischen Staaten strebten nach Unabhängigkeit und in der RSFSR (Russische sozialistische föderative Sowjetrepublik) übernahm Boris Jelzin die Führung. Die Wirtschaft war durch rückläufige Produktion, zunehmende Engpässe, wachsende Haushaltsdefizite und die Erosion des Plansystems gelähmt, während Streiks und ethnische Konflikte die Kontrolle des Zentrums weiter schwächten. Außenpolitisch verlor die UdSSR ihren Einfluss auf Osteuropa und der RGW (Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe) zerfiel, was den sowjetischen Außenhandel bedrohte. Gorbatschows Reformen hatten das alte System delegitimiert, ohne eine funktionsfähige Alternative zu schaffen: Weder Plan noch Markt funktionierten.

[14] Ebd., S. 7f.

[15] Ebd., S. 15ff.

[16] Nach dem Sturz Ceaușescus in Rumänien kam es 1990 zu massiven Protesten gegen die neue FSN-Regierung unter Iliescu. Die Regierung ließ tausende Bergarbeiter (»Mineri«) nach Bukarest bringen, um oppositionelle Demonstranten auf dem Universitätsplatz gewaltsam zu vertreiben. Im Zuge der sogenannten »Mineriaden« kam es zu Übergriffen, Festnahmen und Verwüstungen von Parteibüros und Redaktionen; dabei starben mehrere Menschen, hunderte wurden verletzt. Die Staatsmedien und ein Teil der westlichen Presse stellten die Aktionen als »Verteidigung der Revolution« und der legalen Ordnung durch Arbeiter und Bergleute gegen »Chaoten« und »Konterrevolutionäre« dar. Diese öffentliche Darstellung diente der Legitimation der Regierung.

[17] Mit dem Balcerowicz‑Programm (ab 1. Januar 1990) wurden Preise liberalisiert, Subventionen gestrichen, Löhne gedeckelt und der Binnenmarkt für Importe geöffnet – mit dreistelliger Inflation, starkem Reallohnverlust und beginnender Massenarbeitslosigkeit als Folge. Es kam zu heftigen Arbeitskämpfen.

[18] L. Trotzki: Von einem Kratzer – zur Gefahr von Wundbrand. In: Verteidigung des Marxismus. S. 140

[19] Wieder und noch einmal über den Charakter der UdSSR. S. 34.

[20] L. Trotzki: Marxismus in unserer Zeit.

Literatur

  • L. Trotzki: Mein Leben. Berlin (DDR), Dietz Verlag, 1990.
  • L. Trotzki: Verteidigung des Marxismus. Essen, Arbeiterpresse, 2006.
  • L. Trotzki: Verratene Revolution. Essen, Mehring Verlag, 2016.