Das veränderte Kräfteverhältnis in Europa und die Rolle der Vierten Internationale


Von Ted Grant.
Perspektivdokument der Revolutionary Communist Party. März 1945.
The Changed Relationship of Forces in Europe and the Role of the Fourth International


Das Ende des Krieges eröffnet eine neue Periode in der militärischen, diplomatischen, wirtschaftlichen und politischen Entwicklung der Welt.

Die überwältigende wirtschaftliche und militärische Übermacht der Sowjetunion im Osten, sowie des amerikanischen Imperialismus mit seinem britischen Satelliten im Westen, haben schließlich dazu geführt, dass der deutsche und japanische Imperialismus zu Staub zerfallen sind.

Im Gefolge der siegreichen alliierten Streitkräfte treffen sich die „Großen Drei“ [USA, Großbritannien und die UdSSR] und ihre Außenminister und Berater, um über die Aufteilung Europas und der Welt in Einfluss- und Ausbeutungszonen zu diskutieren und ihre diesbezüglichen Beschlüsse in Geheimverträgen zu besiegeln. Die Satellitenstaaten werden in die Gremien der Vereinten Nationen eingeladen, aber nur, um eine Fassade zu schaffen und den Entscheidungen Gewicht zu verleihen, die durch harte Verhandlungen der großen Drei hinter den Kulissen zustande gekommen sind.

Doch die militärischen und diplomatischen Vereinbarungen werden überschattet von der Furcht vor einer proletarischen Revolution in Deutschland und dem übrigen Europa; sowie in den Kolonialländern des Ostens. Dieses Hauptproblem, das unablässig auf eine entscheidende Lösung pocht, wird immer mehr zur größten Sorge der drei Großmächte und schweißt sie momentan zusammen.

Das veränderte Kräfteverhältnis zwischen den Weltmächten, das sich seit dem Versailler Vertrag zwischen den beiden Weltkriegen allmählich transformierte, zeigt sich jetzt deutlich am militärischen Schicksal der Nationen.

Die Zerstörung der französischen Armee, die einst die stärkste in Europa war; der Zerfall des französischen Kolonialreichs; die jämmerliche Rolle der herrschenden Klasse Frankreichs als Anhängsel des Eroberers während der Nazi-Besatzung; all dies hat den Niedergang Frankreichs von der Großmacht zu einer drittklassigen Macht in Europa und der Welt unterstrichen.

Das illusorische imperiale Gehabe der italienischen herrschenden Klasse, das sie landaus, landein durch die Märsche ihrer Schwarzhemden in Szene setzen ließ, ist geplatzt. Die schwache, unzureichende ökonomische Basis brach unter den Belastungen zusammen. Übrig bleibt Italien in der Rolle eines Balkanstaats.

Im Osten Europas hat der Krieg ebenso wie im Westen die Bedeutung der Nationen im neuen Kräfteverhältnis völlig verschoben. Polen, die Tschechoslowakei, die baltischen und Balkanstaaten, Belgien, die Niederlande und die skandinavischen Länder sind alle von geringerem Gewicht in den „Beratungen der Nationen“.

Der Zusammenbruch der weltweiten britischen Hegemonie, die Unfähigkeit Großbritanniens, seine Position auf dem europäischen Kontinent zu behaupten oder entscheidend ins Kriegsgeschehen einzugreifen, die Unterordnung seiner Militärführer in Europa unter die Yankees und sein allgemeiner Niedergang im Verhältnis zu seinen sowjetisch-amerikanischen Verbündeten macht Großbritannien jetzt wirklich zur „größten der kleinen Nationen“.

Der Eintritt des amerikanischen Imperialismus auf die weltpolitische Bühne – ausgestattet mit gewaltigen ökonomischen und militärischen Ressourcen – hat die USA mit einem Schlag an die Spitze der imperialistischen Mächte katapultiert. Im Osten wie im Westen sichert ihnen ihr schieres wirtschaftliches und militärisches Gewicht eine dominierende Stellung. Der Pazifik verwandelt sich zusehends in ein „amerikanisches Binnenmeer“, während die britischen Dominions sich ökonomisch dem Dollarraum annähern und nur noch dem Namen nach mit dem Mutterland verbunden bleiben.

Wie die Sowjetunion aus dem Krieg hervorging

Doch die bei weitem schwerwiegendste Veränderung von weltweiter Bedeutung ist die neue Rolle der Sowjetunion, die zum ersten Mal in der Geschichte die größte Militärmacht in Europa und Asien ist. Die gewaltigen Siege der Roten Armee in Europa haben den Großteil der europäischen Bourgeoisie gezwungen, auf den Kreml zu orientieren. Die gewaltige prosowjetische Bewegung der Massen ist eine mächtige Stütze dafür.

In Europa gibt es heute keine Kontinentalmacht mehr, die die Rote Armee herausfordern könnte. Es wird auch nicht möglich sein, in wenigen Jahren eine Streitmacht aufzubauen, die materiell oder moralisch dazu in der Lage wäre. Nur auf Grundlage einer völligen Niederlage der europäischen Arbeiterklasse, einer völligen Zerstörung ihrer Organisationen und mit der Errichtung eines reaktionären Regimes unter amerikanischer Führung könnten sich die Kräfte des europäischen Kapitalismus soweit neu gruppieren, dass ein Angriff gegen die Sowjetunion möglich wäre.

Doch viele Faktoren machen es äußerst schwierig, wenn nicht gar völlig unmöglich für die Alliierten, in den unmittelbaren Nachkriegsjahren einen Angriff gegen die Sowjetunion zu beginnen: Die Kriegsmüdigkeit der Massen in allen Ländern, besonders in Europa; ihre Bewunderung und Unterstützung für die Rote Armee; Die Sympathie, ja breite Unterstützung für die Sowjetunion – selbst in den Vereinigten Staaten – in Teilen der Arbeiterklasse.

Das politische Risiko einer solchen Operation wäre viel zu groß – nicht nur in Europa oder Asien, wo die Massen die Sowjetunion unterstützen würden, sondern auch in Großbritannien und Amerika. Es wäre ideologisch unmöglich, die Massen für einen solchen Krieg zu mobilisieren, der wohl den wahren Charakter des vorangegangenen Kampfes gegen die Achsenmächte entlarven würde. Ein solcher Krieg wäre angesichts der sowjetischen Militärmacht unweigerlich von langer Dauer – mit revolutionären Erschütterungen rund um den Globus als absehbarer Folge. In der kommenden Periode werden die Alliierten daher gezwungen sein, sich trotz der Konflikte, die sie mit ihr haben, auf einen Deal mit der Sowjetunion einzulassen.

Die Pläne der Imperialisten sind gescheitert

Der deutsche Imperialismus rechnete mit Zuversicht darauf, dass er den Sowjetstaat zerstören und auflösen könnte; die angloamerikanischen Imperialisten erwarteten und hofften auf den Untergang der Sowjetunion, doch wollten sie Russland gleichzeitig einsetzen, um die Macht des deutschen Imperialismus zu brechen und am Ende als Sieger dazustehen. Sie erwarteten, dass die Sowjetunion zumindest geschwächt und zerrüttet aus dem Krieg hervorgehen würde, unfähig, sich den Forderungen und Zumutungen zu widersetzen, die man ihr aufzwingen wollte.

Ihre Rechnung ging nicht auf. Ein herausragendes Resultat des imperialistischen Krieges ist das endgültige Hervortreten der Sowjetunion – vom rückständigen Staat zur stärksten Militärmacht des europäischen Kontinents. Diese Entwicklung hat sämtliche Kalkulationen der Imperialisten beider Lager über den Haufen geworfen. In den Regierungskanzleien rund um den Globus brach der Angstschweiß aus.

Der Krieg in Europa reduzierte sich zu einem großen Teil auf einen Krieg zwischen Deutschland, gestützt auf die Ressourcen ganz Europas, und der Sowjetunion. Aus dieser entscheidenden Bewährungsprobe ging die Sowjetunion siegreich hervor.

Die stalinistische Bürokratie verfolgt mit der Besetzung der osteuropäischen Staaten zweierlei Absichten. Sie will einerseits eine strategische Defensivposition gegen ihre Verbündeten errichten. Zweitens will sie die Völker des Balkans, Ost- und Mitteleuropas im eigenen Interesse beherrschen und ausplündern. Der Einzug der Roten Armee in Osteuropa führte allerdings zu einer Bewegung breiter Schichten der unterdrückten Arbeiter und Bauern. Die stalinistische Bürokratie hat diese Bewegung benutzt, um ihre Marionetten fest an der Spitze der Regierungen zu installieren. Um seine Verbündeten zu besänftigen, hat Stalin den Kapitalismus in den Gebieten, die er kontrolliert, aber nicht in die Sowjetunion aufgenommen hat, aufrechterhalten. Gleichzeitig erhielten die Bauern Zugeständnisse in Form einer Landreform.

Ein weiterer Grund für die Erhaltung des Kapitalismus liegt in der Furcht der Bürokratie vor den unausweichlichen Folgen, die die Freisetzung der Kräfte der proletarischen Revolution auf dem Balkan und in ganz Europa hätte, und sei es auch nur in Form einer Karikatur. Die Situation ist derart fragil, dass die Bewegung zweifellos außerhalb der Kontrolle der Bürokratie geraten würde und gewaltige Rückwirkungen auf die Rote Armee sowie auf die Arbeiter und Bauern innerhalb der Sowjetunion selbst haben könnte.

Die Besetzung Deutschlands und Osteuropas erfüllt für die Bürokratie also einen doppelten Zweck. Sie zielt darauf, die Sowjetunion mit Methoden zu verteidigen, die den reaktionären Wünschen und Bedürfnissen der stalinistischen Bürokratie entsprechen. Solche Methoden haben nicht nur nichts gemeinsam mit dem Leninismus, sondern sind in der Tat seine Negation. Die sowjetische Besatzung zielt darauf ab, die proletarische Revolution in Europa zu ersticken und zu zerstören.

Bislang war die Verteidigung der Sowjetunion die zentrale Aufgabe in diesem Krieg. Mit dem Fall des deutschen Imperialismus wird zur zentralen Aufgabe, die europäische Revolution gegen die Sowjetbürokratie zu verteidigen. Die Rote Armee wird von der bonapartistischen Bürokratie als Waffe der Konterrevolution eingesetzt. Für das europäische Proletariat ist die konterrevolutionäre Politik der stalinistischen Bürokratie eine tödliche Gefahr.

Doch auch für die stalinistische Bürokratie ist die Situation eine tödliche Gefahr. Die Arbeiter und Bauern der Roten Armee werden sich unweigerlich mit den Arbeitern und Bauern der besetzten Länder verbrüdern. Die Soldaten werden erleben, wie verlogen die Propaganda der Bürokratie hinsichtlich der Verhältnisse in anderen Ländern im Vergleich zu den Verhältnissen in der Sowjetunion ist.

Im Allgemeinen lässt sich sagen, dass in der kommenden Periode entweder die Erhaltung des Kapitalismus in den Ländern Mittel- und Osteuropas zum Ausgangspunkt für die Wiederherstellung des Kapitalismus in der Sowjetunion selbst sein wird, indem sie der Bürokratie die Möglichkeit verschafft, sich zu Eigentümern der Produktionsmittel zu machen; oder die Bürokratie wird gegen ihren eigenen Willen gezwungen sein, das Risiko einzugehen, ihre gegenwärtigen imperialistischen Verbündeten zu verärgern und die Verstaatlichung der Industrie in den dauerhaft besetzten Ländern in Angriff zu nehmen – möglichst administrativ, von oben und ohne Beteiligung der Massen.

Die Vierte Internationale wird die konterrevolutionäre Rolle der Bürokratie in der europäischen und Weltrevolution entlarven und dabei das Wesen der Sowjetunion und die Notwendigkeit ihrer Verteidigung gegen den Weltimperialismus darlegen. Mittelfristig wird die Verteidigung der Sowjetunion in der Verteidigung der europäischen Revolution gegen die Verschwörung der stalinistischen Bürokratie mit dem Weltimperialismus bestehen. Wo die Rote Armee – die sich weiterhin unter der Kontrolle der Bürokratie als Werkzeug ihrer Politik befindet – dazu eingesetzt wird, revolutionäre Bewegungen der Massen zu zerschlagen oder Arbeiteraufstände niederzuschlagen, wird die Vierte Internationale die Arbeiter aufrufen, sich der Roten Armee mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln zu widersetzen: mit Streiks, mit organisierter Gegenwehr, notfalls bewaffnet – während sie zugleich an die Soldaten der Roten Armee appelliert, sich an den Auftrag des Oktobers zu erinnern und sich auf die Seite der Arbeiterklasse zu stellen. Die wirksamste Verteidigung der Sowjetunion ist heute die Ausweitung des Oktobers und die Erneuerung der Sowjetdemokratie in der Sowjetunion selbst.

Die Position der stalinistischen Bürokratie

Die großrussische stalinistische Bürokratie erstickt die nationalen Bestrebungen der Minderheiten in der Sowjetunion. Die Revolutionary Communist Party ordnet den Kampf für die Unabhängigkeit zwar der Verteidigung der Sowjetunion unter, steht aber für das Recht der ukrainischen, baltischen und anderen sowjetischen Minderheiten ein, sich von der stalinistischen Sowjetunion abzutrennen und unabhängige sozialistische Staaten zu gründen. Aber die Abtrennung ist eine reaktionäre Utopie, wenn sie nicht als Teil eines Kampfes für Sowjetdemokratie, den Sturz des Stalinismus und für die Vereinigung der demokratisierten UdSSR mit den vereinigten sozialistischen Staaten Europas aufgefasst wird.

Im Verlauf des Krieges hat sich die Abtrennung der bürokratischen Kaste von den Massen und ihre Erhebung über sie erheblich beschleunigt. Von den Errungenschaften des Oktobers ist nur die grundlegende übriggeblieben: Das verstaatlichte Eigentum. Die Macht ist aus den Händen der zivilen Bürokratie auf die Militärbürokratie mit einer ganzen Armee von Marschällen an ihrer Spitze übergegangen. Es vollziehen sich in der Sowjetunion widersprüchliche Prozesse. Einerseits hat der Verlauf des Krieges die Proletarisierung neuer Gesellschaftsschichten vorangetrieben – Frauen und sogar Kinder. Also kann das Sowjetproletariat heute nicht viel weniger umfangreich sein als das der Vereinigten Staaten. Andererseits nehmen die sozialen Unterschiede zwischen der Bürokratie und den Massen immer mehr kapitalistische Züge an.

Zwei entgegengesetzte Tendenzen offenbaren sich. Die kapitalistischen Elemente in der sowjetischen Gesellschaft orientieren sich zunehmend am kapitalistischen Westen – dessen Laster die Bürokratie längst übernommen hat. Die sowjetischen Massen jedoch kennen die Verbrechen der Bürokratie nur zu gut; ihr Hass auf diese privilegierte Kaste ist tief und leidenschaftlich. Die siegreichen Arbeiter, Bauern und Soldaten werden am Tag nach dem Krieg ihre Rechnung präsentieren. Die gewaltigen Erfolge der Roten Armee müssen den sowjetischen Massen ein neues Selbstbewusstsein und eine enorme innere Kraft verliehen haben. Sie werden sich nicht mehr so bereitwillig mit den Ausflüchten und Zumutungen der Bürokratie abspeisen lassen, sobald die äußere Gefahr imperialistischer Intervention schwindet. Der Krieg – und der titanische Kampf, den er ihnen abverlangte – hat die Masse der Bevölkerung aus Apathie und Verzweiflung herausgerissen. Er hat die sowjetische Gesellschaft nicht weniger tiefgreifend revolutioniert als die kapitalistischen Länder.

Die Siege der Sowjetunion sind Stützpunkte für die Weltrevolution, sowohl hinsichtlich ihres Effekts auf die Massen in Europa und der Welt, als auch, weil sie die verstaatlichte Wirtschaft gerettet haben. Aber die Arbeiterklasse muss den zwiespältigen Charakter der Prozesse verstehen.

Einerseits sind die Siege der Roten Armee für die europäischen Massen ein Echo der Oktoberrevolution; andererseits benutzt die Bürokratie die Rote Armee und ihre Agenturen, die Kommunistischen Parteien, um die proletarische Revolution abzuwürgen.

Aus einer rein wirtschaftlichen Perspektive wird die Sowjetunion wohl in wenigen Jahren die Produktion wieder auf das Vorkriegsniveau gebracht haben, trotz der bürokratischen Verschwendung und obwohl die Initiative der Massen unterdrückt wird. Die ökonomischen Erfolge der Vorkriegszeit könnten sich fortsetzen, aber dennoch wird der Krieg das Wirtschaftsleben der Sowjetunion tief beeinflussen. Die wirtschaftliche Entwicklung der Nachkriegszeit wird weder reibungslos noch krisenfrei verlaufen.

Während der vergangenen vier Jahre wurde die gesamte Wirtschaft auf eine beinah ausschließliche Kriegsproduktion umgestellt. Die bemerkenswerten Ergebnisse haben ihren Preis gefordert – die Abnutzung der Maschinen, die Beseitigung der Konsumgüterproduktion, die physische Erschöpfung der Arbeiter. Folglich wird es in der Zukunft noch schärfere Krisen geben, die sich aus den Missverhältnissen in der Sowjetwirtschaft ergeben – Krisen, wie sie bereits in den Vorkriegsjahren auftraten und die durch keinerlei bürokratische „Planung“ überwunden werden können, da ihre Wurzel in einer grundlegenden Tatsache liegt: Die verstaatlichte Wirtschaft der Sowjetunion ist eine isolierte, keine Weltwirtschaft.

Die bereits bestehenden Disproportionen zwischen den verschiedenen Zweigen der Sowjetwirtschaft – zwischen Leicht- und Schwerindustrie, zwischen Industrie und Landwirtschaft – sind durch den Krieg alle noch verschärft worden. Insbesondere die Situation der Landwirtschaft, die sich 1941 noch nicht von den Verheerungen der Kollektivierung erholt hatte und die vom gegenwärtigen Krieg völlig zerstört wurde, wird Probleme aufwerfen, die sich im Rahmen der isolierten Sowjetwirtschaft nicht werden lösen lassen.

Dennoch sind die Vorteile der verstaatlichten Wirtschaft derart, dass – trotz jener inneren Widersprüche und im Rahmen dieser Widersprüche – gewaltige produktive Leistungen möglich sind, in einem Ausmaß und mit einer Geschwindigkeit, die selbst die fortgeschrittensten kapitalistischen Staaten übertreffen.

Die Differenzierung in der Sowjetunion hat solche Ausmaße angenommen, dass die Perspektiven drei Möglichkeiten erlauben:

a) Es ist theoretisch nicht ausgeschlossen, dass die Bürokratie auf Basis einer wachsenden Wirtschaft noch einige weitere Jahre an der Macht bleibt;

b) Die weitere Degeneration der Sowjetunion könnte den Weg zur kapitalistischen Restauration bereiten;

c) Der Aufschwung der Arbeiterklasse könnte im Sturz der Bürokratie und der Wiederherstellung der Sowjetdemokratie enden.

Die Bourgeoisien aller Länder und insbesondere der angloamerikanische Imperialismus setzen alles auf den inneren Zerfall der Sowjetunion. Durch ökonomischen Druck von außen und durch die innere Reaktion wünschen sie den Kapitalismus in der UdSSR wiederherzustellen. Auf Grundlage eines Sieges der Reaktion in Europa und Asien hoffen sie gerade darauf; mit militärischen Mitteln, wenn nötig. Trotz heftiger Zusammenstöße sind sie aber derzeit gezwungen, die Begleichung dieser Rechnung zu vertagen und die Dienste des Kremls in Anspruch zu nehmen, um die Revolution zu erwürgen, die direkt und unmittelbar die Existenz des Kapitalismus in Europa und Asien bedroht. Und so verlässt sich die Bourgeoisie heute, in einer Zeit tödlicher Gefahr für den Kapitalismus, auf die Dienste der Bürokratie, um dann später, wenn die Krise überwunden ist, die Sowjetunion zu erdrosseln.

Doch trotz des gewaltigen Wachstums der Bürokratie enthält die Situation Elemente, die die Wiederbelebung der Arbeitermacht begünstigen. Zwischen den ökonomischen Errungenschaften und dem Würgegriff der Bürokratie besteht ein Widerspruch, der die Wirtschaft des Landes immer schwerer belastet. Im Krieg zeigte sich die Macht der Traditionen des Oktobers trotz der bürokratischen Fäulnis.

Die kommenden Ereignisse werden der Weltbourgeoisie ebenso wie der stalinistischen Bürokratie einige Überraschungen auftischen. Das gesellschaftliche Eigentum, das im Krieg wie im Frieden seine Überlegenheit bewiesen hat, steht jetzt in einem größeren Konflikt mit der Bürokratie als zuvor. Die politische Krise im Gefolge des Krieges wird die ganze Schwäche der Bürokratie ans Licht bringen. Unvermeidlich wird es Zusammenstöße zwischen den Arbeitern und Bauern, sowie zwischen den Soldaten, die die Früchte des Sieges einfordern, und den Usurpatoren geben. In diesen Zusammenstößen wird das mächtige Sowjetproletariat, mit der Vierten Internationale als seiner Avantgarde, wieder zu sich finden: getragen von der Tradition dreier Revolutionen und zweier siegreicher Kriege.

Die nationale Frage in Europa

Trotz der Leichtigkeit, mit der die Kriegsmaschinerie der Nazis über Europa hinwegfegte, brauchte es nur wenige Jahre, bis klar wurde, dass diese Eroberungen rein illusorisch waren. Die Nazis waren nicht in der Lage, die leidenden Völker dauerhaft niederzuhalten – für die die Besatzung nichts als verschärfte Armut, Hunger und das unerträgliche Joch einer totalitären Fremdherrschaft bedeutete. Obwohl sie ihren Kampf nicht auf ein klares Klassenprogramm stützten und obwohl es sie unzählige Opfer kostete, gelang es den Massen dennoch, die Naziherrschaft in Europa zu untergraben.

Die herrschenden Klassen der eroberten Völker schlossen sich mehr oder weniger freiwillig mit den Nazis zusammen und wurden zu Verwaltern und Juniorpartnern der Eroberer. Die Helden der „nationalen Würde“ und „nationalen Einheit“ verbündeten sich im Moment der Niederlage mit dem Unterdrücker – gegen die Mehrheit des eigenen Volkes. Klasseninteressen finden – wie ein Topf – immer ihren Deckel.

Dass die Nazis ihre Herrschaft, gestützt auf Quislinge[1], SS-Terror und Folter, überhaupt eine Zeit lang aufrechterhalten konnten, verdankten sie der Unterstützung, die ihnen die Sozialdemokratie und der Stalinismus leisteten. Ihre Anbiederung an den nationalistischen Chauvinismus half den deutschen Imperialisten dabei, die Arbeiter und Bauern hinter sich zu vereinen – im Namen eines „Kampfs der Rassen“. Sie wirkte zwangsläufig als ideologischer Kitt zwischen den Nazi-Gangstern und der deutschen Bourgeoisie.

Konfrontiert mit der Wahl, entweder andere Völker zu versklaven oder selbst zur kolonisierten Nation zu werden, verharrten die deutschen Soldaten – zweifellos verbittert – in ihrer Rolle als Besatzungsmacht. Ein internationalistischer sozialistischer Appell – getragen von den illegalen Massenorganisationen der Arbeiterbewegung oder von der Führung der Sowjetunion selbst –, verbunden mit einer systematischen Kampagne der Klassenverbrüderung, hätte Wirkung gehabt. Er hätte in den entlegensten Winkeln des deutschen Reiches und der besetzten Gebiete Resonanz gefunden. Aber ein solcher Appell wurde nie erhoben. Eine systematische Klassenverbrüderung fand nicht statt.

Unsere Haltung zu den Widerstandsbewegungen

Organisierter Widerstand gegen den ausländischen Unterdrücker wurde von den Stalinisten, Sozialdemokraten, kleinbürgerlichen Parteien und Teilen der Bourgeoisie geleistet. Innerhalb der heterogenen Formationen, die sich im Widerstand zusammenschlossen, traten die Klassenwidersprüche und -antagonismen scharf und organisiert zutage. In einzelnen Ländern spitzte sich dieser Widerspruch bis zum offenen Bürgerkrieg zu.

In Polen, Jugoslawien und Griechenland führte diese scharfe Trennung zur Existenz paralleler und rivalisierender Widerstandbewegungen. Zervas und die EDES repräsentierten die alte, feudal-kapitalistische Reaktion, die sich hin und wieder sogar gegen Tito und Siantos, die die plebejischen Massen vertraten, auf die Nazis stützte. In gewissem Maß war diese Spaltung in allen besetzten Ländern sichtbar; in Frankreich etwa zwischen den Maquis und den FTP.[2]

In den Zusammenstößen und bewaffneten Kämpfen, die von Zeit zu Zeit stattfanden, waren die „Linken“ bzw. diejenigen Elemente des Widerstandes, die sich direkt auf revolutionäre Schichten des Volkes stützten, unter dem Druck der Klassengegensätze in einen Konflikt mit den Elementen gezwungen, die die Bourgeoisie vertraten. Trotz der „nationalen“, nicht klassenmäßigen, verräterischen Politik ihrer Führung drückte die Bewegung den Wunsch und den Druck der Massen nach einer Klassenlösung aus; die revolutionären Sozialisten mussten hier also die Linken gegen die Rechten unterstützen.

Doch selbst der linke Flügel der Widerstandsbewegung stützte sich nicht auf breite Komitees, sondern auf Absprachen zwischen den Parteien. In dieser Form war er ein Parteienblock – und angesichts der Quisling-Rolle großer Teile der Bourgeoisie nichts anderes als eine Karikatur der Volksfront. Trotz der Unterstützung durch tausende klassenbewusste Proletarier, die in diesen linken Widerstandsbewegungen eine Antwort auf ihre sozialen Hoffnungen sahen, machten das nationalistische, kleinbürgerliche Programm, die Führung und die politische Praxis des Widerstandsblocks ihn zu einem direkten Instrument des Imperialismus.

Inmitten des imperialistischen Krieges sehen die objektiven Bedingungen in ihrer Gesamtheit so aus, dass ein genuiner Kampf um nationale Befreiung und eine Sprengung des Bündnisses mit dem Imperialismus nur auf Grundlage eines sozialistischen Programms unter der Losung der Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa möglich war. Ein organisierter Kampf auf jeder anderen Grundlage, also auf der Linie des einen oder des anderen Flügels des Widerstands, bedeutete, einem der beiden imperialistischen Blöcke im Krieg zuzuarbeiten.

Die Trotzkisten konnten ihr Banner also nicht beschmutzen, indem sie sich diesem Parteienblock anschlossen und diese Volksfrontkarikatur unterstützten. Obwohl sie jede wirkliche Bewegung der Massen – Streiks, Demonstrationen und bewaffnete Aktionen – unterstützten und, wo möglich, anzuführen suchten, waren die Trotzkisten verpflichtet, den Widerstandsblock im Allgemeinen und seine Führung im Besonderen als Agentur des angloamerikanischen Imperialismus zu entlarven, die den Klasseninteressen der Arbeiterklasse feindlich gegenüberstand.

Im Gegensatz zu den militärischen Formationen des von der Bourgeoisie und dem Kleinbürgertum geprägten Widerstands hat die proletarische Partei die Aufgabe, unabhängige militärische Formationen der Arbeiterklasse dem entgegenzustellen – und sie, wo immer möglich, selbst zu organisieren.

Unversöhnliche Gegnerschaft gegenüber dem „Widerstandsblock“ wird ergänzt durch flexible Taktik in der Anwendung der Parteipolitik. Die Widerstandsorganisationen waren wichtige Felder der revolutionären Aktivität. Die revolutionäre Partei war verpflichtet, ihre Kader in die Widerstandsbewegung zu schicken, dem bürgerlichen und kleinbürgerlichen Programm ein proletarisches entgegenzuhalten, mitzuhelfen, den Einfluss der Bourgeoisie auf kämpferische Teile der Arbeiterklasse zurückzudrängen, und eine bewusste proletarische Opposition gegen die Politik des Chauvinismus und gegen die chauvinistischen Führer zu organisieren.

Die „Befreiung“ des Kontinents durch die angloamerikanischen Imperialisten stellte die Frage des Klassenkampfs in zugespitzter Form. Mit dem Ende der totalitären Unterdrückung durch den deutschen Imperialismus rückte die nationale Frage zunehmend in den Hintergrund. Nur eine jahrelange militärische Besatzung durch den angloamerikanischen Imperialismus und die stalinistische Bürokratie könnte der nationalen Frage erneut politisches Gewicht auf dem europäischen Kontinent verschaffen. Die indirekte Ausbeutung und Unterdrückung durch die „großen drei“ Mächte sowie eine militärische Intervention zur Unterstützung der alten herrschenden Klasse gegen das Proletariat würde vielmehr die Klassenfragen im Bewusstsein der europäischen Völker in den Vordergrund drängen. Nur im Fall Deutschlands, das von den Alliierten direkt aufgeteilt und unterworfen wird, wird die nationale Frage in scharfer Form gestellt werden.

Die klassischen Bedingungen der proletarischen Revolution

Der Großteil der europäischen Bourgeoisie, von den großen Massenbewegungen vor Kriegsausbruch schon empfindlich erschüttert, hat sich als unfähig erwiesen, die Völker anzuführen, die sie zur „Verteidigung des Vaterlandes“ aufgerufen hatte. Die militärische Niederlage demoralisierte sie nur noch weiter. Perspektivlos und von Hass auf die eigene Arbeiterklasse erfüllt, verbrüderte sich nahezu die gesamte herrschende Klasse der besetzten Länder mit dem Feind und organisierte gemeinsam mit dem ausländischen Besatzer die Ausbeutung der eigenen Bevölkerung. Als Quislinge verdienten sie sich damit den Hass der überwältigenden Mehrheit der Arbeiter und Kleinbürger.

Seit dem Sieg der Alliierten kann man der Bourgeoisie jetzt dabei zusehen, wie sie versucht, sich den „Befreiern“ ebenso anzudienen wie zuvor den „Besatzern“. Ohne einen stabilen staatlichen Unterdrückungsapparat, panisch erstarrt im Angesicht des wachsenden Zorns der Massen, demoralisiert und ohne jenes Selbstvertrauen, das für eine ausbeutende Klasse unverzichtbar ist, ist sie vollständig auf die Bajonette der Alliierten angewiesen, um ihre Herrschaft aufrechtzuerhalten.

Auf der anderen Seite will die Masse der Arbeiterklasse das alte Regime nicht mehr. Die Erfahrung einer ganzen Generation kapitalistischer Herrschaft seit dem letzten Weltkrieg, die offene Rolle der eigenen herrschenden Klasse unter der Nazibesatzung; Arbeitslosigkeit und Hunger, Faschismus und nationale Demütigung; die Erkenntnis, dass die Massen den Kampf gegen den fremden Besatzer trugen, während die Bourgeoisie kollaborierte und sich bereicherte – und schließlich die gewaltigen Siege der Roten Armee, mit all ihren Assoziationen zur Oktoberrevolution: All diese Faktoren haben zu einer tiefgreifenden Veränderung im Bewusstsein der arbeitenden Massen geführt.

Die europäischen Arbeiter sind dabei, mit dem bürgerlichen Parlamentarismus und dem sozialdemokratischen Reformismus zu brechen. Sie wenden sich revolutionärer Politik zu, dem Kommunismus zu – doch leider in Gestalt der stalinistischen Parteien, die nur eine verzerrte Karikatur des Kommunismus vertreten.

Totaler Krieg und Niederlage beschleunigten die Konzentration des Kapitals und die Ruinierung der Mittelschichten insbesondere in den Städten. Zu Hunderten und Tausenden wurden die Kleinbürger grob in die Reihen der Arbeiter hinabgestoßen. Man hat sie in Fabriken und Zwangsarbeitslager gesteckt; sie wurden proletarisiert. So musste auch die Radikalisierung der Arbeiterklasse auf das Kleinbürgertum überschwappen.

Wie immer mussten die am meisten unterdrückten Schichten der Gesellschaft – die Frauen und die Jugend – die schwersten Kriegslasten ertragen. Insbesondere in der Jugend ist der Wunsch nach einer radikalen Veränderung und einer kommunistischen Lösung der Tagesprobleme tief verwurzelt.

Alle objektiven Bedingungen für den Sturz des Kapitalismus und den Aufbau des Sozialismus sind also offenbar vorhanden. Doch die subjektiven Faktoren sind noch nicht vorhanden: Die revolutionären Massenparteien der Vierten Internationale gibt es noch nicht. Die kleinen trotzkistischen Gruppen und Parteien in die kämpfende Führung der Arbeiterklasse zu verwandeln, ist die wichtigste Aufgabe für unsere Genossen in Europa. Ohne trotzkistische Massenparteien werden die Massen – geblendet durch die Sozialdemokratie und insbesondere durch den Stalinismus – sich an den Bastionen des Kapitalismus die Köpfe einrennen.

Nur die zahlenmäßige Schwäche der Kader der Vierten Internationale und die Isolation unserer Genossen verschaffen der herrschenden Klasse noch die Möglichkeit einer Atempause. Die Führung der Bourgeoisie kennt – trotz aller Demoralisierung – sehr genau ihre eigenen Klasseninteressen. Sie muss die Arbeiterklasse um jeden Preis niederschlagen. Aber im Moment fehlen ihr dafür die Kräfte.

Die Erfahrung Griechenlands

Die Ereignisse in Griechenland waren der Beginn einer neuen Phase der Revolution und Konterrevolution in Europa.[3] In diesem kleinen Land hatte sich die explosive Kraft des Klassenkampfes lange angestaut. Seit drei Jahrzehnten kam es aus den Turbulenzen nicht heraus. Jetzt kam es zum Ausbruch des Bürgerkrieges, gefolgt von einem skrupellos und brutal geführten Interventionskrieg von Seiten der britischen Imperialisten.

Im Konflikt zwischen Royalisten und Republikanern erwies sich die Bourgeoisie – unfähig zu entschlossenem Vorgehen gegen die feudalen Großgrundbesitzer – auch als unfähig, die Aufgaben der demokratischen Revolution zu lösen. Sie bereitete damit zwangsläufig der monarchistischen Reaktion den Weg.

Auf die Restauration Georgs II. folgte die Diktatur von Ioannis Metaxas, der versuchte, „Ruhe“ und „Klassenfrieden“ herzustellen.[4] Dieses „Experiment“ zielte darauf ab, die griechische Arbeiter- und Bauernbewegung zu atomisieren, die das alte Regime mit Streiks und Bauernrevolten bedrohte, und sie von einer Bewegung in Richtung der sozialistischen Revolution abzuhalten. Die britischen Imperialisten, deren finanzielle und strategische Interessen sie zwangen, Griechenland als Unterkolonie zu betrachten, unterstützten die griechische herrschende Klasse bei diesem reaktionären Schachzug.

Die Brutalität der Metaxas-Diktatur hatte das Fundament der griechischen herrschenden Klasse bereits untergraben und schon vor dem Krieg eine Aufstandsbewegung ausgelöst. Doch die Kollaboration der griechischen herrschenden Klasse mit dem deutschen Besatzer kristallisierte die Feindseligkeit der Massen noch weiter. Das führte nach dem Rückzug der deutschen Truppen zur Explosion.

Kampflos konnte man den Massen die alte herrschende Klasse, ganz zu schweigen von der Monarchie, nicht mehr aufzwingen. Die Massen hatten einen harten und blutigen Kampf gegen die SS geführt und Griechenland weitestgehend auf sich allein gestellt befreit. Durch ihre bewaffnete Organisation, ELAS, kontrollierten sie das Land. Als die griechische Polizei auf unbewaffnete Demonstranten schoss, war diese Provokation ausreichend, um den bewaffneten Aufstand auszulösen. Ohne Vorbereitung, Organisation oder klare Vorstellung, wie sie ihre Ziele erreichen könnten, schritten die tapfere griechische Arbeiterklasse und Bauernschaft zur Tat. Doch ohne revolutionäre Führung ging der Kampf verloren.

Die stalinistische Führung lenkte die Bewegung auf die bekannten Bahnen der „Volksfront“ und zwängte ihre sozialen Forderungen in die Zwangsjacke des bürgerlichen Parlamentarismus. Das bereitete die Niederlage und Kapitulation vor.

Einmal mehr bewiesen die Ereignisse in Griechenland, dass den Massen ohne revolutionäre Partei ein Desaster blüht; erst recht, wenn der Klassenkampf zu einem offenen Bürgerkriegs eskaliert. Ohne die Partei können die Massen die Macht nicht erobern.

Wenn man die örtlichen Besonderheiten außer Acht lässt, war Griechenland ein Modell für die Probleme und Lehren, die sich für ganz Europa stellten. Churchills Politik der kompromisslosen Repression war gleichermaßen von imperialistischen strategischen Überlegungen wie den inneren Klassenverhältnissen bestimmt. Nachdem der Sieg der Roten Armee zur Vorherrschaft der stalinistischen Bürokratie auf dem Balkan geführt hatte, war es für die Interessen des britischen Imperialismus im Mittelmeerraum unerlässlich, Griechenland fest unter Kontrolle zu halten.

Und doch haben die Imperialisten in Griechenland Anschauungsunterricht in den Schwierigkeiten erhalten, die eine Politik der offenen militärischen Repression in Europa mit sich bringen würde. Die vernünftigsten und realistischsten Vertreter der herrschenden Klasse in Großbritannien waren nie einverstanden mit Churchills tölpelhafter, abenteuerlicher Repressionspolitik. Selbst in einem kleinen Land mit sechs Millionen Einwohnern zeigte sich deutlich, wie gefährlich diese Vorgehensweise ist. Der britische Imperialismus wurde gezwungen, einen Kompromiss mit den kleinbürgerlichen Verrätern in der EAM-Führung zu finden.

Die Regierungen Plastiras und Voulgaris sind unsichere Versuche, das Gleichgewicht der bürgerlichen Gesellschaft in Griechenland wiederherzustellen.[5] Die Situation enthält eindeutig Elemente des Bonapartismus und der Militärdiktatur. Doch der Kompromiss, der durch die Kapitulation der stalinistischen Führung zustande gekommen ist – wenn auch, bedingt durch den Druck der Massen und die Unruhe im britischen Proletariat, in abgeschwächter Form –, hat den Massen ihre Organisationen belassen. Diese sind zwar nicht unversehrt, aber auch noch keineswegs zerschlagen.

Dieses instabile Kräftegleichgewicht kann nicht ewig halten. Entweder wird die Monarchie wiederhergestellt und es kommt zur systematischen Vernichtung der Arbeiterorganisationen, oder die Reaktion fühlt sich noch zu schwach und versucht ein republikanisches Manöver. Selbst im letzteren Fall wird sich das Regime jedoch nicht lange halten können. Ein Anstoß von unten würde es unweigerlich hinwegfegen, und die Bourgeoisie würde erneut versuchen, die politische Lage über ihre Volksfrontagenturen zu kontrollieren. Die Entwicklung in Griechenland wird jedoch in hohem Maß von den Ereignissen in Westeuropa, auf dem Balkan und in Großbritannien abhängen. Nur eines steht fest: Das Regime wird in der kommenden Periode von einer Krise in die nächste stürzen.

Die Konterrevolution in „demokratischer“ Form

Griechenland hat das Wetterleuchten des revolutionären Sturms gezeigt, der in Europa aufzieht. Die Bourgeoisie der ganzen Welt hat eine richtige Perspektive auf diese Ereignisse. Die Basis des alten Systems ist in ganz Europa zusammengebrochen. Hitler und Mussolini sind verschwunden. Das bedeutet, dass die Reaktion in Europa zumindest kurzfristig keine stabile Basis mehr hat.

Unter den Massen gibt es eine Gärung und Radikalisierung. Ihr Unmut bewegt sich direkt in Richtung Aufstand. Das dreifach ruinierte Kleinbürgertum wendet sich hasserfüllt von den Konzernen und Monopolen, von der kapitalistischen Reaktion ab. Um in Europa die „Ordnung“ wiederherzustellen und die Herrschaft des Kapitals zu festigen, muss der angloamerikanische Imperialismus komplizierte und geschickte Manöver finden. Es wird fürs Erste nicht einfach sein, die Massen einfach niederzuschlagen. Man wird sie mit Phrasen über „Fortschritt“, „Reformen“ und „Demokratie“ als Gegenentwurf zur totalitären Schreckensherrschaft verführen müssen. Doch die Bourgeoisie hat Europa nicht mehr unter Kontrolle. Die Massenorganisationen der Arbeiterklasse werden die Frage entscheiden.

Mit dem Sturz Mussolinis traten sofort Organisationen in Form von Räten auf, getragen von Teilen der Arbeiter, Soldaten und Bauern – ein Zeichen dafür, dass das Proletariat erneut die politische Bühne betreten hatte. Auch hier waren die Anfänge der Doppelherrschaft unmittelbar sichtbar. Doch auch hier war das Haupthindernis, der Hauptfaktor der Lähmung, die Politik der alten Arbeiterparteien. Das Bewusstsein der Massen befindet sich noch auf einer elementaren Stufe; sie wollen den Kapitalismus und das alte Regime nicht und sie wollen dem Beispiel der russischen Arbeiter und der Oktoberrevolution folgen. Aber sie verstehen noch nicht, dass ihre alten Parteien den Fortschritt des Kampfes bremsen; sie verstehen noch nicht die Notwendigkeit einer trotzkistischen Massenpartei.

Ganz Westeuropa ist von revolutionären Krisen in noch unentwickelter Form durchzogen. Der Wegfall der totalitären Betondecke enthüllt die Kräfte, die zwischenzeitlich darunter entstanden sind. In Belgien, den Niederlanden und Skandinavien sehen wir überall denselben Prozess des Massenwiderstandes gegen die Unterdrückung und der Entfremdung von den Emigrantencliquen der alten „Regierungen“.

Osteuropa zeigt uns ein ähnliches Bild von der Entwicklung des Molekularprozesses der Revolution. Der heroische Aufstand der Warschauer Arbeiter,[6] als die Rote Armee herannahte, wurde zwar vom Londoner Komitee fehlgeleitet und verzerrt, zeigt aber trotzdem die Stimmung der Massen in Polen. Der kalkulierte Verrat an Warschau durch die stalinistische Bürokratie unterstreicht ihre konterrevolutionäre Rolle in Europa und weltweit.

Gäbe es in Europa revolutionäre Massenparteien, wäre die Bourgeoisie in einer hoffnungslosen Lage. Doch bei der gegebenen Schwäche der revolutionären Avantgarde, gibt es, wie Lenin erklärte, keine völlig hoffnungslose Lage für die Bourgeoisie. Nach dem letzten Krieg wurde der Kapitalismus von der Sozialdemokratie gerettet. Heute gibt es zwei Verräter-„Internationalen“ im Dienst des Kapitals – den Stalinismus und die Sozialdemokratie. Zusammen mit der Führung der Gewerkschaften, die sofort wieder aufgetaucht sind, als der Druck der Nazis nachließ, bieten sie sich dem Kapital als Tagelöhner an.

Die SS konnte Europa nicht kontrollieren. Auch jetzt muss die Bourgeoisie einsehen, dass sie die Massen mit solchen Methoden nicht unter Kontrolle halten kann. Aber die sozialdemokratischen und stalinistischen Organisationen bieten sich ihr als willfähriges Werkzeug an, um den revolutionären Aufschwung der Massen in die ungefährlichen Bahnen der Klassenzusammenarbeit zu lenken – durch eine noch verkommenere Form der Volksfrontpolitik als in der Vergangenheit.

Sie werden die Repression mit illusorischen Reformen kombinieren, die Keimformen der Arbeitermacht zerschlagen, die Massen entwaffnen und gleichzeitig verkünden, dass sie für „repräsentative“ Regierungen und „demokratische“ Freiheiten sind. Es gibt keinen anderen Weg, wie sie den Aufschwung der Massen hin zum Sturz des kapitalistischen Systems eindämmen können. Die Konterrevolution des Kapitals wird – kurze Zeit nach der Errichtung der militärischen Besatzungsregimes – zu Beginn eine „demokratische“ Form annehmen. Die Bourgeoisie wird scheinbare Zugeständnisse mit Repressionen und Vergeltungsmaßnahmen gegen die revolutionären Kräfte kombinieren.

Es kann in Europa jetzt keine andere als die proletarische Revolution stattfinden. Doch am Anfang wird es unvermeidlich sein, dass die alten Organisationen der Arbeiterklasse sich erfolgreich an die Spitze der Massen stellen. Die Massen werden nur durch eine neue Erfahrung – sie braucht nicht von langer Dauer zu sein – lernen, dass diese Organisationen im Interesse des Klassenfeindes handeln. Und während die Massen zwar ganz genau wissen, was sie nicht wollen, ist ihnen noch nicht klar, mit welchen Mitteln sie ihr Ziel erreichen können. So läuft alles auf eine Kerenskiade[7] in den ersten Etappen der europäischen Revolution hinaus.

Der angloamerikanische Imperialismus versteht, dass Franco unausweichlich fallen wird und dass sich revolutionäre Erschütterungen über die ganze iberische Halbinsel ausbreiten werden, wenn Hitler erst endgültig geschlagen ist. Die Unzufriedenheit der Massen nimmt zu. Der angloamerikanische Imperialismus verhandelt bereits hinter den Kulissen mit Teilen der spanischen Bourgeoisie, mit Franco und mit emigrierten Politikern, um dem revolutionären Aufstand der Massen zuvorzukommen.

Ein Aufstand in Spanien droht, zu gefährlich für das übrige Europa zu werden. Deshalb suchen sie nach einem spanischen Badoglio[8], um auf „sichere“ und „friedliche“ Weise das Franco-Regime abwickeln zu können. Ob sie das schaffen oder nicht, in jedem Fall können sie auf diese Weise die Massenbewegung nur vorübergehend verzögern. Doch die ernsthaften Vertreter des Finanzkapitals haben aus den Erfahrungen der vergangenen Jahrzehnte viel mehr gelernt als die hinterlistigen „Führer“ der Arbeiterklasse. Sie betrachten den Übergang von einem Regime zum nächsten anhand der Frage, wie die Interessen der herrschenden Klasse am besten bedient und geschützt werden können.

Es ist offensichtlich unmöglich, dass die britische und amerikanische Bourgeoisie den Völkern Europas dauerhaft ein fremdes und totalitäres Joch aufbürden. In dieser Hinsicht ist denn auch die Rolle des Kremls besonders bedeutsam. Dieser ist von tödlicher Angst vor dem Sieg der proletarischen Revolution ergriffen, will aber trotzdem für seine Agenturen, die örtlichen Kommunistischen Parteien, die größtmögliche Bewegungsfreiheit erhalten. Der Sieg der Reaktion in Europa bedeutet für die Sowjetunion eine neue und größere Gefahr einer imperialistischen Intervention. Die Sowjetbürokratie versucht also, die Herrschaft des Kapitals zwar zu sichern, aber mit der Arbeiterbewegung als Absicherung gegen die Bourgeoisie.

Die breite Masse der Arbeiterklasse schaut auf die Sowjetunion als Bannerträgerin des Sozialismus. Damit müssen sich die kapitalistischen Demokratien fürs Erste abfinden. Solange der Kapitalismus in Europa erhalten bleibt, sind sie bereit – und haben keine andere Wahl, als – einen Kompromiss mit der Sowjetbürokratie einzugehen.

Die Erfahrungen der russischen Revolution, der deutschen Revolution von 1918, und der spanischen Revolution von 1931 bestärken diese Schlussfolgerungen. Der Aufschwung der Massen stürzte die Monarchie in Spanien und brachte die Bourgeoisie dazu, die Republik auszurufen. Eine Koalitionsregierung aus bürgerlichen Republikanern und Sozialisten verkündete radikale Programme auf dem Papier, während sie gleichzeitig Repressionen gegen Arbeiter und Bauern durchführte. Eine solche Regierung konnte nicht von Dauer sein. Das Regime der Spanischen Republik war ein Regime permanenter Krisen – eine Periode von Rückschlägen und Vorstößen, von Reaktion und Radikalisierung, die schließlich in einem halben Jahrzehnt mündete, in dem Bourgeoisie und Proletariat jeweils versuchten, die gesellschaftliche Krise in einem verzweifelten und blutigen Bürgerkrieg zu lösen.

Das spanische Muster wird sich in ganz Europa in der kommenden Periode wiederholen. Unterentwickeltere und fortgeschrittenere Länder sind gleichermaßen mit derselben Krise konfrontiert. Von der Wolga bis zur Nordsee, vom Schwarzen bis zum Baltischen Meer ist von Europa kaum mehr als ein chaotischer Trümmerhaufen geblieben. Es gibt keine stabile Basis für die bürgerliche Demokratie. Selbst die relative „Stabilität“ der Spanischen Republik wird unerreichbar sein. Die Ereignisse in Italien und Griechenland kündigen die revolutionärste Periode der europäischen Geschichte an.

Das alliierte Programm für Europa

Wegen der tieferen Krise des Kapitalismus halten die Alliierten für Europa heute auch ein dementsprechend härteres Programm bereit als zu Zeiten des Versailler Vertrages. Die Nazis wollten Europa in Gestalt eines gigantischen Konzentrationslagers vereinen. Die Alliierten hingegen wollen es atomisieren und aufspalten, und zwar auf die gleiche Weise, die schon nach dem letzten Krieg so offensichtlich zur Katastrophe geführt hat. Die Teile Europas, die nicht von der sowjetischen Bürokratie kontrolliert werden, sollen zur Beute des britischen und amerikanischen Imperialismus werden.

Selbst unter kapitalistischer Herrschaft wäre ein vereintes Europa als Rivale zu gefährlich für den britischen und amerikanischen Imperialismus. Die Sowjetbürokratie ist ein unversöhnlicher Gegner der Vereinigung selbst eines Teils des Kontinents in einer kapitalistischen Föderation, weil diese unweigerlich zur zukünftigen Bastion eines neuen Krieges gegen die Sowjetunion werden würde. Deshalb hat sich Stalin gemeinsam mit Truman[9] und Churchill dem Ziel einer Balkanisierung Europas verschrieben – bis hin zur Zerstückelung Deutschlands, des einzig wirklich gefährlichen Gegners der Sowjetunion in einem zukünftigen Krieg in Europa.

Seine gewaltigen Ressourcen und Produktivkräfte drängen den amerikanischen Imperialismus dazu, die ganze Welt „durchzuorganisieren“, um den Konsequenzen der unauflöslichen Widersprüche zwischen dem Potenzial und den Beschränkungen selbst seines eigenen gewaltigen Binnenmarkts zu entgehen. Amerika will Europa – insbesondere das geschwächte und zerfallende britische Empire – von seiner jahrhundertealten Spitzenposition verdrängen und sich die Märkte der ganzen Welt sichern. Die Märkte der Kolonialländer sind ihm nicht genug. Auch die Märkte und Industrien Europas sollen Amerika gehören. Der Dollar soll die Währungen und Volkswirtschaften Europas beherrschen.

Das amerikanische Finanzkapital hofft, Europa auf Ration zu setzen. Dazu nutzt es das Chaos und die Desorganisation aus und bedient sich der Waffen des Kredits, der Nahrungsmittel und sonstiger „Hilfsgüter“. Gleichzeitig erpresst und besticht es die Revolutionen mit denselben Mitteln.

Die Barbarei des angloamerikanischen Imperialismus gegenüber Deutschland ergibt sich aber nicht nur aus seinem Programm der Unterwerfung und Ausbeutung, sondern aus seiner Angst vor der proletarischen Revolution in Deutschland. Das deutsche Volk hat innerhalb weniger Jahrzehnte alle Formen der bürgerlichen Herrschaft erlebt. Das Proletariat und das Kleinbürgertum werden sich unweigerlich auf die sozialistische Revolution zubewegen.

In Deutschland wird die Bourgeoisie verstehen, wie utopisch ihre Pläne zur Aufrechterhaltung des alten Systems sind. Alle Versuche, Verbrüderungen zu bestrafen, werden zusammenbrechen, wenn die Besatzung länger andauert. Die Tommies und Doughboys[10] werden ihre Mission in Europa als abgeschlossen betrachten. Sie werden die Demobilisierung fordern. Sie werden heimkehren wollen, in jene „bessere Welt“, die ihnen von der Bourgeoisie versprochen wurde. Der Kampf des deutschen Proletariats gegen die Besatzungstruppen, gegen die nationale Demütigung und Zerschlagung Deutschlands – der Kampf um nationale und soziale Befreiung – wird unter dem Stiefel der Besatzungsmächte die Grundlage für einen mächtigen Massenwiderstand legen.

Mit ihrem reaktionären Programm der nationalen Versklavung können die Stalinisten die deutschen Massen nur einen Augenblick lang täuschen. Vielmehr werden die Bedingungen dafür vorbereitet, dass das deutsche Proletariat sich binnen kurzer Zeit revolutionär ausrichtet. Die italienische Erfahrung ist ein anschauliches Beispiel dafür, wie schnell die Massen sich unter dem Eindruck historischer Ereignisse von den Auswirkungen der schrecklichen Niederlagen erholen können. Die Kräfte und die Kampfbereitschaft des Proletariats scheinen nahezu unerschöpflich.

Die Balkanisierung Deutschlands und Europas, die angloamerikanische Herrschaft über Westeuropa, die Ansprüche Frankreichs, die Herrschaft des Kremls über Osteuropa durch bürgerliche Marionetten – all das wird für den leidenden Kontinent noch erschreckendere Konsequenzen haben als der Versailler „Frieden“. Im Zeitalter der Flugzeuge und Panzerdivisionen nimmt die Absurdität nationaler Grenzen, Zollschranken und Armeen – von kleinen wie großen Staaten in Europa – einen besonders verhängnisvollen Charakter an: Sie führen zu einem langsamen und schmerzhaften Abwürgen der Produktivkräfte und zum Verfall der europäischen Kultur. Erschwerend kommt hinzu: Ganz Europa wird von den Großmächten – zu denen erstmals keine europäische mehr gehört – ausgeblutet werden. Die nächste Stufe wird eine klassische Periode von Kriegen, Revolutionen und Konterrevolutionen sein. Die Geschichte der vergangenen Jahrzehnte wird sie noch vertiefen und intensivieren.

Die Unterstützung, die der Stalinismus und der klassische Reformismus dem Weltimperialismus leisten, ist ein objektiver Faktor, mit dem man rechnen muss. Auf dieser Grundlage könnte der Weltimperialismus möglicherweise bürgerlich-demokratische Regimes in gewissen Ländern „stabilisieren“. Der Stalinismus muss den Massen einige Zugeständnisse anbieten können, indem er die Gewerkschaften wiederherstellt und eine (relative, wie in Spanien 1931) Presse-, Rede- und Wahlfreiheit gestattet, wenn auch in abgeschwächter Form. Die Imperialisten brauchen ein „demokratisches“ Zwischenspiel, bevor sie den Weg der Reaktion beschreiten können. Sie haben ohnehin keine Wahl: Die Erschütterungen des Krieges und das völlige Scheitern des Faschismus haben der Reaktion für die unmittelbar kommende Periode jede Massenbasis entzogen. Militärdiktaturen ohne gesellschaftliche Verankerung zu errichten, wäre äußerst schwierig. Solche Regime könnten sich zudem kaum halten, sobald sich britische und amerikanische Truppen zum Rückzug gezwungen sehen. Der stürmische Vorwärtsdrang der Massen zwingt die Herrschenden dazu, ihr Reserveinstrument hervorzuholen: die Organisationen der Arbeiterbewegung.

Andererseits könnten die angloamerikanischen Imperialisten es in einzelnen Fällen schaffen, sofort Militärdiktaturen aufzubauen. Doch ohne soziale Massenbasis könnten sie sich nicht lange halten. Vor dem Hintergrund sozialer Unruhen und Zusammenstöße in Europa und der Welt, wären solche Regimes mit Krisen und Erschütterungen konfrontiert.

Unsere Einschätzung der Entwicklung bedeutet nicht, dass wir pessimistische Schlüsse ziehen. Im Gegenteil. Es ergibt sich jedoch daraus, dass die Vierte International die Situation ausnützen muss, um sich auf die Erschütterungen vorzubereiten, die den Imperialisten bevorstehen. Wir leben in einer Epoche scharfer Wendungen. Die Veränderungen der Lage in Spanien nach der Revolution 1931 entwickelten sich erstaunlich rasch: Aufschwung der Massen, Verrat der Reformisten, Scheitern der Anarchosyndikalisten und Stalinisten an den Aufgaben einer revolutionären Führung (insbesondere hinsichtlich der demokratischen und Übergangsforderungen). Die kurze Ruhephase, in der die Reaktion ihre Kräfte sammelte, um mit den Massen abzurechnen – gestützt auf deren Enttäuschung und Verzweiflung, die die Führung hervorgerufen hatte; die Antwort der Massen auf die Peitsche der Konterrevolution durch Generalstreik und Aufstand in Asturien und Katalonien; die Reaktion ist nicht in der Lage, sich zu festigen; die Massen schöpfen neue Kraft; die Bildung der Volksfront als Zügel für die Massen; die Wahlen im Februar; stürmische Bewegungen der Arbeiter und Bauern, die von den Stalinisten und Reformisten nicht mehr kontrolliert werden können; eine Bewegung in Richtung sozialistischer Revolution; Francos Putsch im Juli – und der auf ihn folgende Aufstand der Massen.

Das ist eine Vorschau für die kommende Periode in Europa. Die Kader der Vierten Internationale müssen die Lektionen dieser Ereignisse mit großer Sorgfalt studieren. Zu jeder Etappe gehören andere Slogans und Taktiken, andere Methoden der Agitation und Propaganda, andere Aktionsformen der Massen.

Vor diesem krisenhaften Hintergrund, der praktisch den gesamten Kontinent umfasst und vor den veralteten Grenzen der Nationalstaaten keinen Halt macht, entstehen die objektiven Bedingungen für die Gründung der Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa als einziger Lösung für die Probleme, die jedes Land erschüttern.

Die Implikationen des Krieges, der Kampf der Völker gegen die Naziherrschaft, das Beispiel der Föderation in der Sowjetunion, die kommende Reaktion auf die alliierte Herrschaft, die unausweichliche Reaktion auf den nationalistischen Rausch und auf den Chauvinismus, die Radikalisierung der europäischen Massen – all das wird auch zur subjektiven Basis dafür beitragen, dass wir Propaganda für die Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa machen und damit bei den Massen auf Gehör stoßen. Die strategische Losung der Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa wird das Band sein, das das Programm der Vierten Internationale zusammenhält – die einzige Alternative zu nationalem Verfall und zum kulturellen und zivilisatorischen Niedergang in allen Ländern Europas.

Unsere Aufgaben in Europa

Die Vierte Internationale wird nur Zugang zu den Massen finden und die Partei der sozialistischen Revolution aufbauen können, wenn sie auf die wechselnden Situationen und Stimmungen mit der richtigen Taktik reagiert.

Eine ganze Reihe schrecklicher Niederlagen wäre nötig, damit die Bourgeoisie eine diktatorische Herrschaft nach dem Vorbild der faschistischen Regimes Hitlers und Mussolinis errichten kann. Der Zyklus beginnt von Neuem, aber auf einer neuen Basis. Der Verfall des kapitalistischen Systems schwächt die Bourgeoisie und verringert ihre Fähigkeit, die Massen in den Bann ihrer Herrschaft zu ziehen. Die Welt sieht sich mit den Jahren 1917-21 konfrontiert, aber auf höherer Ebene.

Die Degeneration der verfaulenden Arbeiterorganisationen gibt dem Kapitalismus eine Atempause. Nur wenn die kommenden Revolutionen scheitern, gibt es für die Bourgeoisie die Hoffnung, ihr System ein weiteres Mal zu retten, indem sie zu einem monströs-reaktionären, repressiven Neofaschismus greift. Zuvor müssen die Massen auf die Probe gestellt werden. Das Proletariat wird sich von seinen alten Organisationen abwenden, wenn die Vierte Internationale in ihrer Strategie und Taktik fähig sein wird, sich in die Massenbewegung der Arbeiter zu integrieren.

Die Hauptaufgabe ist in dieser Periode der Aufbau revolutionärer Massenparteien der Vierten Internationale. Wo immer es die Gelegenheit dazu gibt, setzen wir uns für den Aufbau spontaner Kampforganisationen ein. Wir stehen für die Diktatur des Proletariats als einzige Lösung und setzen uns dafür ein. Doch unsere europäischen Genossen können nicht erwarten, dass dieses Kampfziel in den ersten Phasen des Kampfes verwirklicht wird. Die Massen streben die sozialistische Lösung zwar an. Aber sie werden in der Praxis erleben müssen, dass der Stalinismus und die Sozialdemokratie sie verraten, um zu lernen, dass selbst der frühere Lebensstandard nur durch die Herrschaft der Arbeiterklasse wiederhergestellt werden kann.

Der Kampf für demokratische, wirtschaftliche und Übergangsforderungen wird in der kommenden revolutionären Epoche keineswegs zweitrangig oder obsolet sein. Er wird im Gegenteil von erheblicher Bedeutung für die Schaffung der Rahmenbedingungen unserer Bewegung sein. Parallel zur Propaganda für die Räte und die Arbeiterregierung müssen wir eine Agitation für die alten Arbeiterorganisationen entwickeln, die immer noch das Vertrauen der Massen genießen. Wir müssen sie auffordern, ihr Bündnis mit der dekadenten Bourgeoisie und mit dem alliierten Imperialismus zu brechen. Ihre Führer sollen ihren Worten Taten folgen lassen.

Unsere Genossen werden fordern, dass die Massenorganisationen, die von sich behaupten, die Arbeiter zu repräsentieren, einen Kampf um die Macht führen. „Für eine Regierung aus Sozialisten und Kommunisten!“ wird der Schlachtruf sein, mit dem die Vierte Internationale die sozialdemokratischen und kommunistischen Arbeiter mobilisiert, um gegen die Kapitalistenklasse zu kämpfen.

Damit muss die Forderung nach Wahlen einhergehen, mit dem allgemeinen Wahlrecht ab 18 Jahren. Die Bourgeoisie und die reformistischen Organisationen schwätzen von demokratischen Rechten, aber sie haben zugelassen, dass die Macht in den Händen bürgerlicher Cliquen verbleibt, die sich großteils auf die alliierten Bajonette stützen, ohne die Massen zu befragen oder von ihnen ein Mandat zu erhalten. Die Forderung nach Wahlen und nach einer konstituierenden Versammlung muss daher in den ersten Stufen der revolutionären Mobilisierung eine große Rolle spielen.

Es kommen hinzu: Übergangsforderungen in verschiedenen Branchen auf unterschiedlichen Stufen des Kampfes. Verstaatlicht die Banken entschädigungslos! Übernehmt die Bergwerke, die Eisenbahn, die großen Konzerne und Industriebetriebe, und gebt den Arbeitern die Kontrolle darüber! Enteignet die Kartelle, die gestern mit Hitler und heute mit den alliierten Imperialisten zusammenarbeiten! Für einen Plan öffentlicher Baumaßnahmen! Für die gleitende Skala der Löhne und Arbeitszeit! Für die Bewaffnung der Arbeiter und den Aufbau von Arbeitermilizen!

Wir werden auf verschiedenen Stufen des Kampfes verschiedene Forderungen aufstellen, wie es im Übergangsprogramm der Vierten Internationale dargestellt ist. Wir brauchen sie jetzt nicht im Detail auszuführen. Diese Forderungen widersprechen jedenfalls nicht dem Programm der Rätemacht und der Arbeiterkomitees in den Betrieben und auf der Straße. Doch ohne diese Übergangsforderungen laufen die Gruppen der Vierten Internationale Gefahr, in sektiererische Sterilität und Isolation zu verfallen und zu degenerieren. Die Übergangsforderungen sind eine Brücke zu den breiten Massen. Ohne sie würde die Aufgabe doppelt so schwer, die Avantgarde zu organisieren.

So sehen die Perioden aus, in denen sich die Vierte Internationale aufbauen wird. Die stalinistischen und sozialdemokratischen Parteien werden nicht zu ihrer Stabilität aus der Vorkriegszeit zurückfinden. Sie werden ständige Krisen und Spaltungen erleben. Mit einer richtigen Taktik werden die Parteien der Vierten Internationale auf ihre Kosten wachsen. Doch mit Sicherheit werden in vielen Ländern auch kurzlebige zentristische Strömungen und Gruppen auftauchen, weil die Organisationen der Vierten Internationale schwach sind und keine öffentlichen Gesichter mit einer Autorität wie Leo Trotzki haben. Diese Autorität werden sich unsere jungen Kader erarbeiten, wenn sie im Lauf der Kämpfe selbstständig lernen und wenn die Massen erleben, wie das Programm der Vierten Internationale angewendet wird.

[1] Nach dem Vorbild des norwegischen Ministerpräsidenten Vidkun Quisling (1941-1945), der bereitwillig mit den Nazis zusammenarbeitete, werden noch heute in mehreren Sprachen Kollaborateure und Verräter als Quislinge bezeichnet.

[2] Napoleon Zervas war der Anführer der EDES (Griechische Demokratische Nationale Liga), die zwar am Widerstand gegen die Nazis beteiligt war, im Bürgerkrieg von 1944–49 jedoch zum Werkzeug des britischen Imperialismus und der griechischen Monarchisten wurde. Georgios Siantos leitete von 1942 bis 1945 die KKE (Kommunistische Partei Griechenlands). Tito (Josip Broz) führte den Partisanenwiderstand gegen die Besatzung Jugoslawiens an; die jugoslawische KP brach 1948 mit Moskau. Der Begriff „Maquis“ umfasste alle Widerstandsgruppen auf dem französischen Land. In Städten wie in ländlichen Gebieten unterschieden sich jedoch die kommunistisch geführten FTP (Francs-Tireurs et Partisans) klar von der rechtsgerichteten Armée Secrète.

[3] Die deutsche Besatzung Griechenlands brach Anfang Oktober 1944 zusammen – infolge eines landesweiten Befreiungskriegs, geführt von Arbeitern und Bauern, organisiert in der ELAS (Volksbefreiungsarmee Griechenlands), dem militärischen Arm der von der KP geführten EAM (Nationale Befreiungsfront). Britische Truppen landeten erst nach dem Abzug der deutschen Besatzungstruppen in Athen – mit dem Ziel, die Monarchie wiederherzustellen und zu verhindern, dass die Macht in den Händen der bewaffneten Massen verblieb. Im Dezember 1944 brach der Bürgerkrieg aus, als die britischen Streitkräfte begannen, die ELAS zu entwaffnen. Im Februar 1945 wurde ein Waffenstillstand unterzeichnet, doch der Bürgerkrieg flammte ab 1946 erneut auf und dauerte bis 1949 an – mit 158.000 Toten.

[4] König Georg II. war von 1913 bis 1924 König von Griechenland. 1935 wurde er auf den Thron zurückgebracht und ernannte Ioannis Metaxas zum Ministerpräsidenten. Metaxas regierte von 1936 bis 1941 mit diktatorischen Vollmachten.

[5] General Nikolaos Plastiras von der Nationalen Fortschrittsunion wurde im Dezember 1944 Premierminister des pro-britischen Marionettenregimes. Admiral Voulgaris, Befehlshaber der griechischen Flotte, war im April 1944 für die Niederschlagung einer antifaschistischen Meuterei auf Schiffen im Hafen von Alexandria verantwortlich. Im April 1945 übernahm er das Amt von Plastiras.

[6] Im August 1944 erhoben sich die Warschauer Arbeiter gegen die deutsche Besatzung. Innerhalb von zwei Tagen hatten sie die Kontrolle über die Stadt erlangt. Die Rote Armee, die sich zu diesem Zeitpunkt nur 15 Meilen von Warschau entfernt befand, war durch deutsche Truppen gestoppt worden – unternahm jedoch wochenlang keinen Versuch, weiter vorzurücken, und ließ die Arbeiter im Kampf allein. Stalin bezeichnete den Aufstand als ein „verrücktes Abenteuer“ und eine „sinnlose Prügelei unter Abenteurern“. Nach 63 Tagen heroischen Widerstands, in deren Verlauf 93 Prozent der Stadt zerstört und 240.000 Polen getötet wurden, gelang es den Nazis, die Kontrolle zurückzugewinnen. Das „Londoner Komitee“ war seit 1940 die polnische Exilregierung.

[7] Nach Alexander Kerenski, russischer Regierungschef von Juli bis Oktober 1917. An seiner Regierung beteiligten sich reformistische und bürgerliche Parteien in wechselnder Zusammensetzung.

[8] Pietro Badoglio, italienischer General, wurde nach dem Sturz Mussolinis im Jahr 1943 Ministerpräsident. Während er in Süditalien einen Waffenstillstand mit den Alliierten aushandelte, ließ er im Norden die Arbeiter entwaffnen, die aus Protest gegen die deutsche Besatzung die Fabriken besetzt hatten.

[9] Harry Truman, demokratischer Präsident der USA von 1945 bis 1953. Er entwickelte die sogenannte Truman-Doktrin, die wirtschaftliche und militärische „Hilfen“ für Länder vorsah, die von „Einmischung“ bedroht seien. 1948 führte er den Marshallplan als wirtschaftliches Hilfsprogramm ein, um die europäische Revolution zu verhindern.

[10] Slangbezeichnungen für britische bzw. amerikanische Soldaten.