Palästina: Die britische Politik des „Teile und Herrsche“


Von Ted Grant.
Veröffentlich in Socialist Appeal. Nr. 28, August 1946.


Bringt die Truppen heim!
Öffnet die Grenzen aller Länder für die Juden!

Die Welle an Terror- und Sabotageakten in Palästina ist das Maß für die Verzweiflung der Juden, die überlebt haben und nach der „Befreiung“ vertrieben wurden. Die Juden hatten angesichts der Versprechungen des britischen Imperialismus, und speziell der Labour-Regierung vor den Wahlen, auf einen Ausweg gehofft. Doch es gab nie die Absicht, diese Versprechen einzuhalten.

Als die Labour-Führung ihre Versprechungen nicht hielten und nicht sofort die Empfehlung der Anglo-American Commission umsetzten, 100.000 Flüchtlinge hereinzulassen, begannen die Zionisten in Palästina ihren Kampf.

Die unsinnigen Terrorakte, besonders der Anschlag auf das King David Hotel[1] (dem Hauptquartier der Armee), haben dem britischen Imperialismus in die Hände gespielt. Der Terrorismus hat die normalen Soldaten zu Gegnern gemacht und erlaubte es der Offizierskaste, eine bösartige und ungezügelte antisemitische Kampagne zu starten.

In Tel Aviv wurde das Kriegsrecht ausgerufen. Eine Ausgangssperre wurde verhängt, wo es nur für 2 von 24 Stunden erlaubt war, Lebensmittel zu besorgen. Wer gegen diese Regelung verstößt, riskiert, befehlsgemäß auf der Stelle erschossen zu werden. Der Korrespondent des News Chronicle in Palästina berichtet, dass Juden verprügelt wurden, und dass es zur Zerstörung und Plünderung von Möbeln und anderem Eigentum kam. Der britische Imperialismus setzt also auf dieselben Methoden gegen die Juden wie zuvor gegen die Araber und andere Kolonialvölker.

Die Labour-Führer, die die Verantwortung für diese Situation übernehmen müssen, würden es gerne so darstellen, als hätte der altbewährte britische Imperialismus keine eigenen Interessen und würde nur die Region wohlwollend und unparteiisch verwalten und so das Gleichgewicht zwischen Juden und Arabern aufrechterhalten. Das ist aber reine Fiktion. Britannien hält Palästina, weil es von strategischer Bedeutung für den Nahen Osten und das britische Empire ist. So unterstützte Großbritannien in Worten die zionistische Utopie, um nur so viele Juden nach Palästina zu lassen, wie für die traditionelle Politik des Imperialismus notwendig war: „Teile und herrsche“.  Die Briten brauchen eine Kraft in der Region, auf die sie sich in ihrem Kampf zur Unterwerfung der arabischen Massen stützen können. Aus ihrer Sicht sind die Juden das geeignete Mittel, das gegen die Araber ausgespielt werden kann, wenn es notwendig ist. Die Briten brachten die Juden vorsätzlich nach Palästina, und zwar aus genau einem Grund: um die Unabhängigkeitskämpfe der arabischen Massen zu bremsen.

Diese Politik hat mit dem Vorschlag, Palästina in drei Zonen zu teilen, eine neue Dimension angenommen. Es soll jetzt einen jüdischen „Staat“ und einen arabischen „Staat“ geben, deren Gleichgewicht von den Briten kontrolliert werden soll. Doch die wichtigsten Regierungsfunktionen würden weiterhin vom britischen Imperialismus kontrolliert werden: Finanzen, Polizei, Handel usw. Die Teilung des Landes in solche Regionen würde die Probleme, vor denen Palästina steht, nicht lösen, sondern nur verschärfen. Durch solch eine Teilung würde der britische Imperialismus einen festen Griff über das Land bekommen.

Ein Stützpunkt

Den wahren Grund für die jetzige Lage in Palästina und die darunterliegenden Motive des britischen Imperialismus hat Churchill in der Parlamentsdebatte am 1. August verhalten enthüllt:

„Aber, die Regierung Seiner Majestät ist durch die überstürzte Aufgabe ihrer verbrieften Rechte in Ägypten und speziell im Gebiet des Suez-Kanals nun gezwungen, nach einem günstigen militärischen Stützpunkt in Palästina Ausschau zu halten, um den Kanal von außerhalb Ägyptens beschützen zu können. Durch diese Torheit hat es die Regierung verabsäumt, Uneigennützigkeit zu demonstrieren, und nun kann man uns dessen beschuldigen, aus einem nationalen strategischen Motiv heraus unseren Griff auf Palästina behalten zu wollen. Ich muss das als schwerwiegendes Desaster ansehen, das unsere Position immens schwächt. Was die Regierung in Ägypten getan hat, wenn auch zweifelsohne aus hehren Motiven, hat unsere moralische Position in Palästina massiv geschwächt, indem wir unser uneigennütziges Image in diesem Land beschädigt haben. Ich habe vor einigen Wochen in der Debatte über Ägypten dargelegt, dass es uns von dem Zeitpunkt an, wo wir für die Verteidigung des Suez-Kanals auf eine Basis in Palästina angewiesen sind, sehr schwerfallen wird, die Kooperation der Amerikaner zu erhalten. Nun gut, schauen Sie sich an, in welche Position wir nun gebracht wurden.“

Offensichtlich will der britische Imperialismus Palästina gerne als seine wichtigste Militärbasis im Nahen Osten nutzen. Somit würde Palästina – sogar noch mehr als in der Vergangenheit – unerlässlich für die Verteidigung der Interessen des britischen Imperialismus werden. Churchill weist natürlich nur deshalb daraufhin, weil er glaubt, dass man in Ägypten mit einem harten Auftreten zum Ziel kommen würde. Die Labour-Regierung ist aber, wenn auch sehr widerwillig, wie Morrison ausgeplaudert hat, gezwungen, mit den Ägyptern einen Kompromiss zu schließen, und deshalb muss sie im Nahen Osten einen neuen Stützpunkt finden: in Palästina.

Einer der Parlamentsabgeordneten der Labour Party, Mr. Wilkes (Newcastle-on-Tyne) enthüllte die merkwürdige Politik, die von den Militärbehörden in Palästina verfolgt wird, und die schlicht und ergreifend als gezielte Provokation ausgelegt werden muss:

„Wenn es die Absicht ist, diese Leute (Terroristen) zu fassen, warum wurden dann, als die Jewish Agency geschlossen wurde, die Büros und das Hauptquartier der Revisionisten [der jüdischen Faschisten – Ted Grant], die die Terrororganisation Irgun[2] kontrollieren, offengelassen? Warum ist es der revisionistischen Presse, auf jeden Fall bis vor 24 Stunden, erlaubt, ihre aggressive, militante, rassistische Propaganda fortzusetzen? Als im Juni und Juli diese Gewalttaten begangen wurden, in den allermeisten Fällen mit Gewissheit von der Irgun, warum wurden da die sozialistischen Siedlungen[3] durchsucht? Hatte man die Erwartung, die Irgun in Siedlungen zu finden, die von der Histadrut[4] organisiert und verwaltet werden? Warum ist die einzige Zeitung in Palästina, die, soweit ich informiert bin, verboten wurde, die Haaretz, die eine liberale Zeitung ist, und die in der Tat die Jewish Agency oft als zu gewalttätig angegriffen hat?“

Maßnahmen wie diese können nur dazu beitragen, die Lage weiter anzuheizen und die jüdischen Massen in Palästina gegen die Militärbehörden aufzubringen.

Und die Armeebehörden nehmen die terroristischen Attacken zum Vorwand, um die Soldaten gegen die Juden aufzubringen. Im Kampf gegen die Araber und deren Unabhängigkeitsbestrebungen in den Jahren 1936-39, gaben sich die Militärs als Beschützer der Juden und hetzten die Soldaten gegen die Araber auf. In Wirklichkeit werden die Soldaten dazu missbraucht, für den britischen Imperialismus in Palästina und im Nahen Osten die Drecksarbeit zu erledigen. Das ist weder im Interesse der Soldaten, die selbst eigentlich Arbeiter sind, noch der einheimischen Bevölkerung unter britischer Herrschaft.

Die kapitalistische Presse vergießt Krokodilstränen darüber, unter welcher Belastung die britischen Truppen leiden. Doch warum befinden sich die Truppen überhaupt dort? Damit sie „Recht und Ordnung“ aufrechterhalten, das heißt, damit sie die strategischen und ökonomischen Interessen Britanniens verteidigen.

Das Immigrationsproblem

Der Auslöser für die jetzige Auseinandersetzung war die Frage der Zuwanderung von 100.000 NS-Opfern, die noch immer in Lagern leben, in den Konzentrationslagern, in die sie von den Nazis gesteckt wurden. Doch die ganze Aussichtslosigkeit des Zionismus zeigt sich anhand dessen, dass sich die Juden in Palästina gegenwärtig in einer tragischen Sackgasse wiederfinden. Selbst wenn 100.000 Juden ins Land gelassen werden, würde das das Problem nicht lösen. Doch es würde unvermeidlich die gewaltsame Feindschaft der Araber in Palästina und dem ganzen Nahen Osten hervorrufen. Der Antisemitismus würde nur von Europa in die arabischen Länder übertragen werden. Und nur ein kleiner Prozentsatz der Juden könnte dadurch eine zumindest temporäre Verschnaufpause bekommen.

Die Imperialisten verschließen fest ihre eigenen Tore, bestehen aber darauf, für die Araber zu entscheiden.

Die Einwanderung von 100.000 Juden nach Palästina, einem Land, das in etwa so groß ist wie Wales und ungefähr so viele Einwohner hat, würde einer Zuwanderung von 8 Millionen Menschen in die USA oder 3 Millionen nach Großbritannien gleichkommen. Es ist klar, dass eine Zuwanderung in diesem Ausmaß nur stattfinden sollte, wenn die arabische Bevölkerung dem aus freien Stücken zustimmt. Das wird aber niemals passieren, solange die Araber das Gefühl haben, dass die Juden vom britischen Imperialismus nur dafür ausgenutzt werden, Palästina zu teilen, aufzuspalten und eine Kraft im Land zu haben, die auf lange Sicht gegen die Araber eingesetzt werden kann, wenn diese gegen den britischen Imperialismus und für nationale Befreiung kämpfen.

Britische Sozialisten und speziell die jüdische sozialistische Jugend stehen vor der schrecklichen Situation, dass Millionen Juden in Europa noch immer den Horror der Konzentrationslager erleiden, und wünschen sich, dass die jüdischen Flüchtlinge endlich eine Heimat und Hilfe bekommen. Sie können nicht auf eine Zuwanderung der Juden nach Palästina drängen, solange die arabische Bevölkerung selbst versklavt ist. Nur von einem freien Volk kann man verlangen, dass es das Asylrecht gewährt.

Ein feiges Ausweichmanöver

Für die Mehrheit der Arbeiterbewegung und speziell der jüdischen „Linken“ ist die Forderung nach Zuwanderung nach Palästina in der Regel ein Versuch, dem wirklichen Problem auszuweichen: das Öffnen der Grenzen Großbritanniens, damit die jüdischen Flüchtlinge ungehindert ins Land kommen können.

„Palästina ist weit weg, und wird auf jeden Fall von einem rückständigen Volk bewohnt. Niemand wird dort einen Wirbel veranstalten.“ So denken diese Leute. Sie fürchten gleichzeitig, dass eine wirkliche Kampagne für die Öffnung der britischen Grenzen eine antisemitische Stimmung in der Bevölkerung befördern würde. Und diesem Problem wollen sie lieber ausweichen. Das ist der wahre Grund, warum sie die Öffnung der Grenzen nach Palästina verlangen.

Das scheinheilige Entsetzen, mit dem die Alliierten auf die Auslöschung der Juden reagierten, hat sich als völlige Heuchelei erwiesen. Hätte Stalin die wahren Interessen des Sozialismus vertreten, dann hätte er signalisiert, dass die Sowjetunion bereit ist, diese Flüchtlinge in Russland aufzunehmen, umso mehr als dort ein akuter Arbeitskräftemangel herrscht. Doch die Tore der Sowjetunion bleiben fest verschlossen. Nicht anders verhalten sich Großbritannien und die USA, trotz ihrer enormen Reichtümer und Ressourcen sind sie nicht bereit, jenen das demokratische Recht auf Asyl zu gewähren, die es dringend benötigen. Stattdessen schlagen sie zur Linderung des Problems Palästina vor. Und zur selben Zeit haben sie es verabsäumt, ein systematisches Programm zur materiellen wie auch psychologischen Unterstützung der vertriebenen Juden durchzuführen, was es ihnen erleichtern würde, sich in ihren Herkunftsländern wieder zu integrieren.

Die Arbeiterklasse muss von der Labour-Regierung, die vorgibt, den Sozialismus zu vertreten, einfordern, dass sie der Welt ein Vorbild sei. Das demokratische Recht auf Asyl muss in Großbritannien und seinen Dominions garantiert sein. Gleiche Rechte für alle in Europa, ohne Unterschied von Herkunft oder Religion. Öffnet die Grenzen!

Doch das Problem Palästina bleibt bestehen. Die Juden werden als Werkzeug des Anglo-Amerikanischen Imperialismus im Nahen Osten ausgenutzt. Einmal „unterstützt“ Großbritannien die Araber, dann wieder die Juden, so geht das hin und her.

Diese Art von Politik ist sowohl gegen die Araber wie auch gegen die Juden gerichtet, die vom britischen Imperialismus ständig gegeneinander ausgespielt werden.

Die Araber lehnen die Zuwanderung ab, weil sie in vielen Gebieten bereits von ihrem Land vertrieben wurden, damit Platz frei wird für die jüdischen Siedler, genauso wie das in der Vergangenheit im Zuge der Kolonisierung vieler Länder passiert ist. Die beschränkte Zuwanderung, die der britische Imperialismus zulässt, sollte einen bestimmten Zweck erfüllen. Es geht darum, den antiimperialistischen Kampf der arabischen Massen zu schwächen und in antisemitische Kanäle abzulenken.

Die britischen Arbeiter müssen den Rückzug der Truppen aus Palästina fordern. Palästina muss seine Unabhängigkeit bekommen. Die jüdischen und die arabischen Arbeiter können miteinander kooperieren, wie der jüngste Streik gezeigt hat. Palästina muss sich mit den restlichen arabischen Ländern verbinden, um eine Föderation der Arabischen Staaten zu schaffen, in der die Juden als Minderheit volle und gleiche Rechte erhalten müssen.

  • Raus mit den Truppen!
  • Nein zum Teilungsplan!
  • Für ein unabhängiges Palästina!
  • Öffnet die Grenzen aller Länder für die unterdrückten Juden!

Gleiche Rechte in allen Ländern für alle Menschen unabhängig von Herkunft, Hautfarbe und Religion!

[1] Im King David Hotel in Jerusalem befand sich das Hauptquartier der britischen Behörden in Palästina. Im Juli 1946 verübten rechte Zionisten einen Bombenanschlag auf das Hotel und töteten dabei 91 Personen.

[2] Die Nationale Militärorganisation, kurz Irgun, war eine von Zionisten organisierte paramilitärische Gruppe und eine Abspaltung der größeren Haganah. Beide Organisationen fusionierten dann zur IDF. Irgun operierte im Mandatsgebiet Palästina von 1931 bis 1948.

[3] „Sozialistische“ Siedlungen in diesem Zitat bezieht sich auf die Kibbuzim, die zionistischen Siedlungen, die in Palästina errichtet wurden. Im Original hatte der Artikel einen Untertitel vor diesem Zitat: „Sozialistische Siedlungen durchsucht“. Wir haben diesen Untertitel entfernt, um nicht den falschen Eindruck zu erwecken, dass Wilkes Charakterisierung der Siedler mit jener von Ted Grant übereinstimmt.

[4] Die Histadrut wurde 1920 als Verband der jüdischen Arbeiterorganisationen in Palästina gegründet. In den 1930ern übernahm sie in zunehmendem Maße eine zentrale Rolle bei der Organisierung jüdischer Siedlungen und betrieb dort eigene Unternehmen und Fabriken.